Wir können diese seltsamerweise in der Philosophie stets unterlassenen Fragen nicht einmal fragen, solange wir nicht erfahren haben, was Parmenides erfahren mußte: die Ἀλήθεια, die Unverborgenheit. Der Weg zu ihr ist gegenüber der Straße, auf der das Dafürhalten der Sterblichen sich umtreiben muß, unterschieden. Die Ἀλήθεια ist nichts Sterbliches, so wenig wie der Tod selbst. Wenn ich den Namen Αλήθεια hartnäckig durch Unverborgenheit übersetze, dann geschieht dies nicht der Etymologie zuliebe sondern der Sache wegen, die bedacht werden muß, wenn wir, was Sein und Denken genannt wird, der Sache entsprechend denken. Die Unverborgenheit ist gleichsam das Element, in dem es Sein sowohl wie Denken und ihre Zusammengehörigkeit erst gibt. Die Ἀλήθεια ist am Beginn der Philosophie zwar genannt, aber sie wird in der Folgezeit von der Philosophie nicht eigens als solche gedacht. Denn die Sache der Philosophie als Metaphysik ist es seit Aristoteles, das Seiende als solches ontotheologisch zu denken.
Wenn es sich so verhält, dann dürfen wir auch nicht urteilen, daß die Philosophie etwas außer acht lasse, daß sie etwas versäume und deshalb mit einem wesentlichen Mangel behaftet sei. Der Hinweis auf das Ungedachte in der Philosophie ist keine Kritik der Philosophie. Wenn jetzt eine Kritik nötig wird, dann trifft sie eher den seit »Sein und Zeit« immer dringlicher werdenden Versuch, am Ende der Philosophie nach einer möglichen Aufgabe des Denkens zu fragen. Denn spät genug erhebt sich jetzt die Frage: Warum wird Ἀλήθεια hier nicht mehr mit dem geläufigen Namen, mit dem Wort »Wahrheit«, übersetzt? Die Antwort muß lauten:
Sofern man Wahrheit im überlieferten »natürlichen« Sinn als die am Seienden ausgewiesene Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Seienden versteht, aber auch, sofern die Wahrheit als die Gewißheit des Wissens vom Sein ausgelegt wird, darf die Ἀλήθεια, die Unverborgenheit im Sinne der Lichtung, nicht mit der Wahrheit gleichgesetzt werden. Vielmehr gewährt die Ἀλήθεια, die Unverborgenheit als Lichtung gedacht, erst die Möglichkeit von