225. JOHANN PETER HEBEL


Johann Peter Hebel schreibt einmal: »Wir sind Pflanzen, die wir mögen's uns gerne gestehen oder nicht — mit den Wurzeln aus der Erde steigen müssen, um im Äther blühen und Früchte tragen zu können.« (Werke, ed. Altwegg, III, 314 ).

Der Dichter will sagen: Wo ein wahrhaft freudiges und heilsames Menschenwerk gedeihen soll, muß der Mensch aus der Tiefe des heimatlichen Bodens in die Höhe des Äthers steigen können. »Äther« bedeutet hier: die freie Luft des hohen Himmels, die offene Weite des Geistes.

Johann Peter Hebel selber und sein Werk sind ein still leuchtendes Zeugnis für sein eigenes Wort. Hebels Werk sagt uns aber auch, wie dieses Wort zu verstehen sei. »Wir sind Pflanzen —«: Will der Dichter das Wesen des Menschen mit dem der Pflanzen gleichsetzen? Nein. Wovon spricht Hebel? Weder nur von der Erde, noch nur vom Himmel. Er möchte auf anderes hinweisen — nämlich auf den Bereich zwischen Erde und Himmel, den der Mensch schaffend und duldend bewohnt. Dieser Bereich erstreckt sich aus der Tiefe der Erde in die Höhe des Himmels.

Diese Erstreckung wird vom irdischen Wohnen des Menschen durch-messen. Dieses Zwischen ist die Dimension des menschlichen Aufenthaltes auf der Erde. Diese offene Weite zwischen Erde und Himmel, in der der Mensch steht und geht, ist jedoch nicht ein leerer Raum — sondern überall aus der Tiefe in die Höhe und aus der Höhe in die Tiefe durchzogen von Wegen und Stegen, versehen mit Hütte und Haus, darin der Mensch ständig wohnt. »Die Erde« — dies Wort steht in Hebels Satz für all das, was uns als Sichtbares, Hörbares, Fühlbares trägt und umgibt, befeuert und beruhigt. »Der Äther« — der Himmel — dies Wort steht in Hebels Satz für all das, was nicht die Sinnesorgane wahrnehmen, das Nicht-Sinnliche — der Sinn und der Geist.


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Martin Heidegger (GA 16) Reden und Andere Zeugnisse eines Lebenweges