Wir sind in einer Richtung hinreichend vorbereitet, sofern wir uns durch die bisherige Betrachtung des ἀληθεύειν3 die Grundstellung zugeeignet haben, aus der heraus im Dialog gesehen und gefragt wird, die Art, in der die Schritte der dialogischen Verhandlung selbst ablaufen. Aber nicht nur die Weise derforschenden Betrachtung soll in dieser Vorbereitung fixiert werden, sondern ebensosehr das thematische Feld dieser Betrachtung selbst. Dieses trägt in dem Dialog, den wir zunächst* vornehmen, einen merkwürdigen Doppelcharakter. Im »Sophistes« wird gefragt und verhandelt, was der Sophist sei, und zwar im Absehen darauf, auszumachen, was der Philosoph sei. Der Sophist wird zunächst in der Mannigfaltigkeit seiner Erhaltungen sichtbar gemacht. Aus dieser Mannigfaltigkeit seines Verhaltens und der entsprechenden Interpretation wird zugleich das sichtbar, wozu er sich verhält Die Art des sophistischen Redens und Umgehens mit allen Sachen läßt zugleich deutlich werden das Womit dieses Umgangs.
Das Verhalten des Sophisten ist im weitesten Sinne genommen eine τέχνη. Ich habe früher5 angedeutet, daß bei Plato die Ausdrücke τέχνη, ἐπιστήμη, σοφία, φρόνησις zum Teil noch durcheinanderlaufen6. Für Plato hat τέχνη die Weite der Bedeutung, die der Ausdruck noch bei Aristoteles, »Metaphysik« I zeigt: das Sich-Auskennen im weitesten Sinne in irgendeinem Verhalten. Hier beim Sophisten handelt es sich um das Sich-Auskennen im Sprechen über alles, was es gibt; das besagt: ein Sich-Auskennen im Besprechen des Seienden. Im Verlaufe der weiteren Charakterisierung kommt die merkwürdige Bestimmung hinzu, daß dieses Sich-Auskennen ein Täuschen ist über das, worüber gesprochen wird. Der Sophist gibt in seiner
3 Rb. Hs.: Aristoteles, Eth. Nic. Z. im vorausgehenden 1. Teil der Vorlesung.
4 Rb. Hs.: geplant war auch der »Philebos«.
5 Vgl. S.65.
6 Rb. Hs.: Vgl. »Theätet« 207c: τεχνικός als έκιατήμων gegen bloßen 4οξβατικός.