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§ 31. Sokrates

b) Sokrates' Bedeutung für das Verständnis des Daseins überhaupt


Unterschied10 zwischen dem, was wir wirklich verstehen und nicht verstehen. Das Nichtwissen gegenüber dem Alleswissen und der Voreiligkeit des gemeinen Verstandes. Zueignung des echten Wissens gegenüber dem äußerlichen Nachreden und die Fraglichkeit des Selbstverständlichsten und Nächsten gegenüber dem künstlichen Scharfsinn. Ohne vorgefaßte These das Wissen selbst: was es ist, worauf wir im Erkennen zielen. Begriff.

Tendenz auf Rechtfertigung des Wissens als solchen, positiv. Auch hier die Orientierung am Nächsten, der handwerklichen Tätigkeit, ποίησις — τέχνη — εἶδος, ἔργον μετὰ λόγου. Herstellen war früher der Leitfaden für Interpretation der Welt. Jetzt ist es Ausgang für das darin liegende Erkennen. Etwas in seinem Grund, warum es so ist und sein kann, aus dem, was es ist, dem τί. Was etwas vor jeder Wirklichkeit in seiner Möglichkeit schon gewesen, das Wesen. Das τί (εἶδος) ist das primär Entdeckte, von dem aus alles andere Seiende und Verhalten dazu seine Aufhellung und Durchsichtigkeit bekommt.

Alles Handeln bedarf der Durchsichtigkeit gegenüber dem blinden Handeln. Blick auf und Sicht für das Worumwillen. Daraus wird die Möglichkeit verstanden, das jeweilige Seinköiznen, die Eignung, »Tugend«, ἀρετή. Wissen um sich selbst in jeweiliger Lage, Umständen. Das Seinkönnen und Verstehen ist nur als dieses Wissen. Tugend ist Wissen, ἀρετή ist φρόνησις.


c) Bedeutung des Sokrates für die wissenschaftlich philosophische Forschung11


Sokrates: immer vom Grund und Wesen darauf stoßen, das Verständnis dafür wecken, den Instinkt pflanzen. Keine neuen


10 S. Anhang, Nachschrift Mörchen Nr. 37, S. 248 ff.

11 S. Anhang, Nachschrift Mörchen Nr. 38, S. 250 f.


Martin Heidegger (GA 22) Grundbegriffe der antiken Philosophie