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§ 11. Phänomenologische Klärung

aller Verwirklichung schon war und ist. Daher wird das vorweggenommene Aussehen, das εἶδος , auch das τό τί ην ειναι genannt, das, was ein Seiendes schon war. Was ein Seiendes vor der Verwirklichung schon war, das Aussehen, dem sich die Herstellung anmißt, ist zugleich dasjenige, von woher das Geprägte eigentlich stammt. Das εἶδος , das, was ein Ding im vorhinein schon war, gibt das Geschlecht des Dinges, seine Abstammung, sein γένος an. Daher ist auch die Sachheit identisch mit γένος, das als Geschlecht und Stamm zu übersetzen ist. Das ist der ontologische Sinn dieses Ausdrucks und nicht etwa der geläufige im Sinne von Gattung. Die logische Bedeutung ist in der ersteren fundiert. Plato spricht meist, wenn er von den höchsten Wasbestimmungen des Seienden handelt, von den γένη τών δντων, von den Stämmen, den Geschlechtern des Seienden. Auch hier ist die Sachheit im Hinblick auf das interpretiert, woher das Seiende im Geprägtwerden stammt.

In dieselbe Richtung der Interpretation des Was weist auch die Bestimmung φύσις. φύειν besagt wachsen lassen, erzeugen, zunächst sich selbst erzeugen. Was Erzeugnisse oder das erzeugte Zeug möglich (erzeugbar) macht, ist wiederum das Aussehen dessen, wie das zu Erzeugende werden und sein soll. Aus φύσις, der Natur der Sache, entspringt das wirkliche Ding. Alles das, was früher ist als das Verwirklichte, ist noch frei von der notwendig mit aller Verwirklichung gegebenen Unvollkommenheit, Einseitigkeit und Versinnlichung. Das vor aller Verwirklichung liegende Was, das maßgebende Aussehen, ist noch nicht wie das Wirkliche der Veränderlichkeit dem Entstehen und Vergehen unterworfen. Es ist sowohl früher als dieses, und als dieses Frühere immer, d. h. dieses, was das Seiende - immer aufgefaßt als Herstellbares und Hergestelltes - im vorhinein schon war, ist das Wahrhafte am Sein eines Seienden. Dieses Wahrhafte am Sein eines Seienden interpretieren die Griechen zugleich als das wahrhaft Seiende selbst,


Martin Heidegger (GA 24) Die Grundprobleme der Phänomenologie