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These der neuzeitlichen Ontologie

so dürfen wir nicht irgendeinen erdachten Begriff von Seele, Person und Ich zugrunde legen, sondern müssen sehen, in welchem Selbstverstehen sich das faktische Dasein in seiner Alltäglichkeit bewegt. Zunächst ist zu fixieren, in welchem Sinne überhaupt hier das Selbst erfahren und verstanden ist. Zunächst und zumeist nehmen wir uns selbst so, wie es der Tag bringt; wir ergrübein und zergliedern nicht ein Seelenleben. Wir verstehen uns alltäglich, wie wir terminologisch fixieren können, nicht eigentlich im strengen Wortsinne, nicht ständig aus den eigensten und äußersten Möglichkeiten unserer eigenen Existenz, sondern uneigentlich, zwar uns selbst, aber so, wie wir uns nicht zu eigen, sondern wie wir uns selbst in der Alltäglichkeit des Existierens an die Dinge und Menschen verloren haben. Nicht eigentlich heißt: nicht so, wie wir uns im Grunde zu eigen sein können. Das Verlorensein hat aber keine negative abschätzige Bedeutung, sondern meint etwas Positives, zum Dasein selbst Gehöriges. Das durchschnittliche Sichselbstverstehen des Daseins nimmt das Selbst als un-eigentliches. Dieses un-eigentliche Sichverstehen des Daseins besagt ganz und gar nicht ein unechtes Sichverstehen. Im Gegenteil, dieses alltägliche Sichhaben innerhalb des faktischen existierenden leidenschaftlichen Aufgehens in den Dingen kann sehr wohl echt sein, während alles extravagante Wühlen in der Seele im höchsten Grade unecht oder sogar verstiegen-pathologisch sein kann. Das uneigentliche Selbstverständnis des Daseins aus den Dingen ist weder unecht noch ist es ein scheinbares, als würde dabei nicht das Selbst, sondern irgendetwas anderes verstanden und das Selbst nur vermeintlicherweise. Das uneigentliche Selbstverständnis erfährt das eigentliche Dasein als solches gerade in seiner eigentümlichen ›Wirklichkeit‹, wenn wir so sagen dürfen, und in einer echten Weise. Das echte wirkliche, obzwar uneigentliche Verstehen des Selbst vollzieht sich so, daß sich dieses Selbst, als welches wir gemeinhin in den Tag hinein existieren, aus dem her ›reflektiert‹, woran es ausgegeben ist.


Martin Heidegger (GA 24) Die Grundprobleme der Phänomenologie