DRITTES KAPITEL
Die Frage nach dem Wesen des Seins [57]
§ 24. Die unabweisbare Tatsächlichkeit:
Verstehen und doch nicht Verstehen des Seins
Wir haben die Betrachtung des Wortes »sein« vorgenommen, um die in Rede stehende Tatsache zu durchdringen und sie damit an den Ort zu stellen, an den sie gehört. Wir wollen diese Tatsache nicht blindlings hinnehmen, ähnlich der, daß es Hunde und Katzen gibt. Wir wollen zu dieser Tatsache selbst eine Stellung gewinnen. Wir wollen dies auf die Gefahr hin, daß dieser »Wille« den Anschein des Verbohrten erweckt und einer weltfremden Verlorenheit gleichkommt, die Abseitiges und Unwirkliches für wirklich hält und an der Zergliederung bloßer Wörter hängen bleibt. Wir wollen die Tatsache durchleuchten. Das Ergebnis unseres Versuches ist die Feststellung, daß die Sprache im Sprachvorgang »Infinitive« bildet, z. B. »sein«, und daß die Sprache es mit der Zeit zu einer abgeschliffenen, unbestimmten Bedeutung dieses Wortes gebracht hat. Das ist nun einmal so. Statt eine Durchleuchtung der Tatsache zu gewinnen, haben wir nur eine andere Tatsache der Sprachgeschichte daneben oder dahinter gestellt.
Wenn wir jetzt bei diesen Tatsachen der Sprachgeschichte wieder ansetzen und fragen, warum sie so seien, wie sie sind, dann wird das, was wir vielleicht noch als Erklärungsgrund anführen können, nicht lichter, sondern nur dunkler. Die Tatsache, daß es mit dem Wort »Sein« so steht, wie es damit steht, verhärtet sich erst recht in ihrer unabweisbaren Tatsächlichkeit. Aber dahin ist es längst gekommen. Darauf beruft sich doch das übliche Vorgehen in der Philosophie, indem es im vorhinein erklärt: das Wort »Sein« hat die leerste und damit allumfassende