§ 30. Rückblick auf die vorausgegangene Überlegung: Der entscheidende Schritt von einer gleichgültigen Tatsache zum fragwürdigsten Geschehnis
Wir haben in der vorausgegangenen Überlegung einen entscheidenden Schritt vollzogen. Auf solche Schritte kommt in einer Vorlesung alles an. Gelegentliche Fragen, die mir zu der [65] Vorlesung vorgelegt werden, verraten immer wieder, daß man meist nach der verkehrten Richtung hört und an Einzelheiten haften bleibt. Zwar kommt es auch in den Vorlesungen der einzelnen Wissenschaften auf den Zusammenhang an. Aber für die Wissenschaften bestimmt sich dieser unmittelbar aus dem Gegenstand, der für die Wissenschaften immer irgendwie vorliegt. Für die Philosophie dagegen liegt der Gegenstand nicht nur nicht vor, sie hat überhaupt keinen Gegenstand. Sie ist ein Geschehnis, das sich jederzeit neu das Sein [in seiner ihm zugehörigen Offenbarkeit] erwirken muß. Nur in diesem Geschehen eröffnet sich die philosophische Wahrheit. Deshalb ist hier der Nach- und Mitvollzug der einzelnen Schritte im Geschehen entscheidend.
Welchen Schritt haben wir getan? Welchen Schritt gilt es für uns immer wieder zu tun?
Wir legten uns folgendes zunächst als eine Tatsache vor Augen: Das Wort »sein« hat eine verschwebende Bedeutung, ist beinahe wie ein leeres Wort. Die genauere Erörterung dieser Tatsache ergab: Das Verschweben der Wortbedeutung findet seine Erklärung 1. in der Verwischung, die dem Infinitiv eignet, 2. in der Vermischung, in die alle drei ursprünglichen Stammbedeutungen eingegangen sind.
Die so erklärte Tatsache kennzeichneten wir dann als den unerschütterten Ausgangspunkt für alles überlieferte Fragen der Metaphysik nach dem »Sein«. Sie geht vom Seienden aus und auf dieses zu. Sie geht nicht vom Sein aus in das Fragwürdige seiner Offenbarkeit. Weil Bedeutung und Begriff »Sein« die höchste Allgemeinheit haben, kann die Meta-physik als