42              Bekundungsschichten des Lebens
    
        Religionsform, nicht, welche bestimmte Weltanschauung, nicht, 
        welches bestimmte künstlerische Erleben gerade in dieser oder 
        jener (zufällig) historisch motivierten Gestalt Erfüllung gerade 
        diesem historisch morphologisch motivierten Sinn gibt, sondern 
        daß die Erfüllung überhaupt eine solche, überhaupt etwas ist, 
        das sich im Leben aus seinen eigenen Formen heraus vollzieht, 
        daß das Leben immer in seiner eigenen Sprache sich anspricht 
        und sich antwortet, daß strukturmäßig das Leben sich nicht aus 
        sich selbst herauszudrehen braucht, um sich selbst seinem Sinne 
        nach zu erhalten, daß seine Struktur ihm selbst genügt, sogar 
        seine Unvollkommenheiten, seine Ungenügendheiten immer 
        wieder irgendwie zu überwinden, in allen möglichen Gestalten 
        und Zufälligkeiten und Bedingtheiten — das meint der Sinn von 
        »Selbstgenügsamkeit«. Er trifft einen Strukturcharakter des 
        Lebens, der es auf sich selbst stellt: daß es sich selbst ein »an sich« ist. 
        Es trägt in sich selbst strukturhaft (das alles inhaltliche Wie und 
        Was im Innersten durchherrscht) die von ihm selbst benötigten 
        Verfügbarkeiten als Möglichkeiten der Erfüllung der ihm selbst 
        entwachsenden Tendenzen.
        Jede Fraglichkeit also (nicht nur theoretisch-wissenschaftliche) 
        erhält ihre Antwort in der Strukturform des Lebens an sich.1 
        Auch jedes Ursprungsgebiet wird sich im Leben selbst und von 
        seiner Grundstruktur durchherrscht geben müssen, sofern es 
        überhaupt so etwas gibt, was doch jetzt sehr fraglich geworden 
        ist. Denn in der Religion, in der Weltanschauung sind doch die 
        letzten Fraglichkeiten lebendig und in irgendeiner Weise zur 
        Beantwortung gebracht. Bessere Weltanschauungen, lebendigere 
        Religion ändern prinzipiell nichts. Sie stellen das Leben als 
        Ganzes in Frage und geben ihm einen letzten Sinn — und gerade weil 
        das letzte Fragen sind eben nur in religiöser Antwort, in 
        weltanschaulicher Deutung, nicht aber etwa streng wissenschaftlich. 
        Was soll da die Rede vom Ursprungsgebiet des Lebens an sich, 
        das in strenger Methode zugänglich werden und aufgehellt werden
        1 Vgl. S. 36f.

Martin Heidegger (GA 58) Grundprobleme der Phänomenologie