Rekonstruktion des Schlußteiles          165
    
       
        weniger — was schon die Bezeichnung im Wort abwehrt — ein 
        Rückschluß vom Faktum des Erfahrens auf ein Erfahrendes, 
        das die Erfahrungen hat, logisch haben muß, an dem so etwas 
        wie Erfahren vorgeht als seine Eigenschaft. Prinzipieller: das 
        Ich ist nicht etwas, das das Leben hat, sich zueignet, mit ihm 
        behaftet ist wie der Tisch mit seiner Farbe, als wäre das Ich 
        — ursprünglicher das Selbst — eine in sich verlaufende 
        Verständlichkeit und seinerseits das Leben ebenso eine solche.
        Allgemein: die Situation ist keine ordnungsbestimmte 
        Konfiguration von Dingelementen, sondern Phänomen, 
        Lebensgebilde, Lebenszusammenhang.
        Das Michselbsthaben ist ferner nicht so etwas wie induktives 
        Zusammenbetrachten einzelner Lebenserfahrungen als 
        solcher, die durch ihr Zusammengeschehen, durch ihren 
        Geschehenszusammenhang, als Konglomerat das Ich entspringen 
        ließen im Sinne einer Resultante, eines Produkts, das sich einstellt 
        oder nicht einstellt, dazukommt, dabei herausspringt.
        Das Michselbsthaben ist kein Anstarren eines Objekts, keine 
        Festlegung, sondern der lebendige Prozeß des Gewinnens und 
        Verlierens des Vertrautseins mit dem konkreten gelebten Leben 
        selbst; als Prozeß kein Sichaufhalten bei einem Objekt, sondern 
        das aus Lebenserfahrungen herkommende sich Vorneigen in 
        neue, lebendige nahe Horizonte, ein Herkommen und Vorneigen, 
        worin lebend ich mir selbst verständlich bin, mag das 
        Erfahrene selbst meiner Existenz die schwersten Rätsel vorlegen. 
        Der verständliche Zusammenhang ist das Leben selbst und ich 
        habe darin mein Selbst.
        Ich habe mich selbst in faktischer Lebenserfahrung, nicht im 
        Anstarren eines Objektes, das in einem Objektzusammenhang 
        steht, durch Beziehungen in ihm eindeutig seine Ordnungsstelle 
        und damit letzte Bestimmtheit erfährt. Auch nicht durch 
        Rückschluß auf ein Ich, das die Erfahrungen hat, an dem so etwas 
        wie Erfahren vorgeht; ferner nicht durch eine Konglomeration 
        von Einzelerfahrungen als Resultate dieser; sondern zuweilen ist 
        die faktische Lebenserfahrung im Verfolg von Bedeutsamkeitszusammenhängen

Martin Heidegger (GA 58) Grundprobleme der Phänomenologie