Kultur bewegt. Andrerseits hat auch das primitive Dasein seine Möglichkeiten des unalltäglichen Seins, es hat seine spezifische Alltäglichkeit. Die Orientierung der Daseinsanalyse am »Leben der primitiven Volker« kann positive methodische Bedeutung haben, sofern »primitive Phänomene« oft weniger verdeckt und kompliziert sind durch eine schon weitgehende Selbstauslegung des betr. Daseins. Primitives Dasein spricht oft direkter aus einem ursprünglichen Aufgehen in den »Phänomenen« (im vorphänomenologischen Sinne genommen). Die, von uns aus gesehen, vielleicht unbeholfene und grobe Begrifflichkeit kann positiv förderlich sein für eine genuine Heraushebung der ontologischen Strukturen der Phänomene.
Aber bislang wird uns die Kenntnis der Primitiven durch die Ethnologie bereitgestellt. Und diese bewegt sich schon bei der ersten »Aufnahme« des Materials, seiner Sichtung und Verarbeitung in bestimmten Vorbegriffen und Auslegungen vom menschlichen Dasein überhaupt. Es ist nicht ausgemacht, ob die Alltagspsychologie oder gar die wissenschaftliche Psychologie und Soziologie, die der Ethnologe mitbringt, für eine angemessene Zugangsmöglichkeit, Auslegung und Übermittelung der zu durchforschenden Phänomene die wissenschaftliche Gewähr bieten. Auch hier zeigt sich dieselbe Sachlage wie bei den vorgenannten Disziplinen. Ethnologie setzt selbst schon eine zureichende Analytik des Daseins als Leitfaden voraus. Da aber die positiven Wissenschaften auf die ontologische Arbeit der Philosophie weder warten »können« noch sollen, wird sich der Fortgang der Forschung nicht vollziehen als »Fortschritt«, sondern als Wiederholung und ontologisch durchsichtigere Reinigung des ontisch Entdeckten.1
1 Neuerdings hat E. Cassirer das mythische Dasein zum Thema einer philosophischen Interpretation gemacht, vgl. »Philosophie der symbolischen Formen«. Zweiter Teil: Das mythische Denken. 1925. Der ethnologischen Forschung werden durch diese Untersuchung umfassendere Leitfäden zur Verfügung gestellt. Von der philosophischen Problematik her gesehen bleibt die Frage, ob die Fundamente der Interpretation hinreichend durchsichtig sind, ob insbesondere die Architektonik von Kants Kritik d. r. V. und deren systematischer Gehalt überhaupt den möglichen Aufriß für eine solche Aufgabe bieten können, oder ob es hier nicht eines neuen und ursprünglicheren Ansatzes bedarf. Cassirer sieht selbst die Möglichkeit einer solchen Aufgabe, wie die Anmerkung S. 16 f. zeigt, wo C. auf die von Husserl erschlossenen phänomenologischen Horizonte hinweist. In einer Aussprache, die der Verf. gelegentlich eines Vortrags in der Hamburgischen Ortsgruppe der Kantgesellschaft im Dezember 1923 über »Aufgaben und Wege der phänomenologischen Forschung« mit C. pflegen konnte, zeigte sich schon eine Übereinstimmung in der Forderung einer existenzialen Analytik, die in dem genannten Vortrag skizziert wurde.