Faktisch bleibt denn auch die Stimmung der Unheimlichkeit meist existenziell unverstanden. »Eigentliche« Angst ist überdies bei der Vorherrschaft des Verfallens und der Öffentlichkeit selten. Oft ist die Angst »physiologisch« bedingt. Dieses Faktum ist in seiner Faktizität ein ontologisches Problem, nicht nur hinsichtlich seiner ontischen Verursachung und Verlaufsform. Physiologische Auslösung von Angst wird nur möglich, weil das Dasein im Grunde seines Seins sich ängstet.
Noch seltener als das existenzielle Faktum der eigentlichen Angst sind die Versuche, dieses Phänomen in seiner grundsätzlichen existenzial-ontologischen Konstitution und Funktion zu interpretieren. Die Gründe hierfür liegen zum Teil in der Vernachlässigung der existenzialen Analytik des Daseins überhaupt, im besonderen aber im Verkennen des Phänomens der Befindlichkeit.1 Die faktische Seltenheit des Angstphänomens vermag ihm jedoch nicht die Eignung zu entziehen, für die existenziale Analytik eine grundsätzliche methodische Funktion zu übernehmen. Im Gegenteil – die Seltenheit des Phänomens ist ein Index dafür, daß das Dasein, das ihm selbst zumeist durch die öffentliche Ausgelegtheit des Man in seiner Eigentlichkeit verdeckt bleibt, in dieser Grundbefindlichkeit in einem ursprünglichen Sinne erschließbar wird.
Zwar gehört zum Wesen jeder Befindlichkeit, je das volle Inder-Welt-sein nach allen seinen konstitutiven Momenten (Welt, In-Sein, Selbst) zu erschließen. Allein in der Angst liegt die Möglichkeit eines
1 Es ist kein Zufall, daß die Phänomene von Angst und Furcht, die durchgängig ungeschieden bleiben, ontisch und auch, obzwar in sehr engen Grenzen, ontologisch in den Gesichtskreis der christlichen Theologie kamen. Das geschah immer dann, wenn das anthropologische Problem des Seins des Menschen zu Gott einen Vorrang gewann und Phänomene wie Glaube, Sünde, Liebe, Reue die Fragestellung leiteten. Vgl. Augustins Lehre vom timor castus und servilis, die in seinen exegetischen Schriften und in den Briefen vielfach besprochen wird. Über Furcht überhaupt vgl. De diversis quaestionibus octoginta tribus qu. 33: de metu, qu. 34: utrum non aliud amandum sit, quam metu carere, qu. 35: quid amandum sit. (Migne P. L. VII, 23 sqq.) Luther hat das Furchtproblem außer in dem überlieferten Zusammenhang einer Interpretation von poenitentia und contritio in seinem Genesiskommentar behandelt, hier freilich am wenigsten begrifflich, erbaulich aber um so eindringlicher; vgl. Enarrationes in genesin cap. 3, WW. (Erl. Ausg.) Exegetica opera latina, tom. I, 177 sqq. Am weitesten ist S. Kierkegaard vorgedrungen in der Analyse des Angstphänomens und zwar wiederum im theologischen Zusammenhang einer »psychologischen« Exposition des Problems der Erbsünde. Vgl. Der Begriff der Angst, 1844. Ges. Werke (Diederichs), Bd. 5.