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diese existenzielle Möglichkeit als »unbewiesene« wegzuschieben oder aber theoretisch »beweisen« zu wollen. Dennoch bedarf das Phänomen des Schutzes vor den gröbsten Verkehrungen.

Die vorlaufende Entschlossenheit ist kein Ausweg, erfunden, um den Tod zu »überwinden«, sondern das dem Gewissensruf folgende Verstehen, das dem Tod die Möglichkeit freigibt, der Existenz des Daseins mächtig zu werden und jede flüchtige Selbstverdeckung im Grunde zu zerstreuen. Das als Sein zum Tode bestimmte Gewissen-haben-wollen bedeutet auch keine weltflüchtige Abgeschiedenheit, sondern bringt illusionslos in die Entschlossenheit des »Handelns«. Die vorlaufende Entschlossenheit entstammt auch nicht einer die Existenz und ihre Möglichkeiten überfliegenden »idealistischen« Zumutung, sondern entspringt dem nüchternen Verstehen faktischer Grundmöglichkeiten des Daseins. Mit der nüchternen Angst, die vor das vereinzelte Seinkönnen bringt, geht die gerüstete Freude an dieser Möglichkeit zusammen. In ihr wird das Dasein frei von den »Zufälligkeiten« des Unterhaltenwerdens, die sich die geschäftige Neugier primär aus den Weltbegebenheiten verschafft. Die Analyse dieser Grundstimmungen überschreitet jedoch die Grenzen, die der vorliegenden Interpretation durch ihr fundamentalontologisches Ziel gezogen sind.

Aber liegt der durchgeführten ontologischen Interpretation der Existenz des Daseins nicht eine bestimmte ontische Auffassung von eigentlicher Existenz, ein faktisches Ideal des Daseins zugrunde? Das ist in der Tat so. Dieses Faktum darf nicht nur nicht geleugnet und gezwungenerweise zugestanden, es muß in seiner positiven Notwendigkeit aus dem thematischen Gegenstand der Untersuchung begriffen werden. Philosophie wird ihre »Voraussetzungen« nie abstreiten wollen, aber auch nicht bloß zugeben dürfen. Sie begreift die Voraussetzungen, und bringt in eins mit ihnen das, wofür sie Voraussetzungen sind, zu eindringlicherer Entfaltung. Diese Funktion hat die jetzt geforderte methodische Besinnung.



§ 63. Die für eine Interpretation des Seinssinnes der Sorge gewonnene hermeneutische Situation und der methodische Charakter der existenzialen Analytik überhaupt


Mit der vorlaufenden Entschlossenheit ist das Dasein hinsichtlich seiner möglichen Eigentlichkeit und Ganzheit phänomenal sichtbar gemacht. Die für die Auslegung des Seinssinnes der Sorge zuvor unzureichende hermeneutische Situation1 hat die geforderte Ursprünglichkeit



1 Vgl. § 45, S. 232.


Martin Heidegger - Sein und Zeit