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Das Realitätsproblem in der modernen Philosophie (1912)

Berkeley2 gerät die Position des Realismus ins Wanken. Mit seinem esse-percipi, dem Ineinssetzen von Sein und Wahrgenommenwerden, behauptet er die Identität des Physischen und Psychischen. Die bewußtseinstranszendente Existenz einer selbständigen Körperwelt gilt für aufgehoben. Psychologisch ist er zwar noch Realist, so daß er neben der Seelensubstanz noch eine Vielheit von Geistern annimmt. Berkeleys Nachfolger Hume hat dann dessen Sensualismus konsequent zu Ende gedacht. Die fundamentalen Begriffe der Substanz und der Kausalität werden ihres objektiven, realen Charakters entkleidet, indem jener sich in ein „Bündel von Perzeptionen" auflöst, dieser zurückgeführt wird auf ein subjektives Zwangsgefüial, auf Grund dessen die assoziativ verbundenen Reproduktionen bestimmter gleichzeitiger Wahrnehmungen in einer objektiven Relation gedacht werden. Kant, der die gefahrdrohenden Einseitigkeiten des englischen Empirismus überwinden und eine allgemeingültige, notwendige, für bestimmte Grenzen geltende Erkenntnis für den Menschen sicherstellen wollte, ist nicht weiter gelangt als bis zur Setzung eines mysteriösen „Dinges an sich". Und wenn man bedenkt, daß Kant seine transzendentale Methode im letzten Grunde nur angewandt bat auf die Formalwissenschaften, indem er untersuchte, wie reine Mathematik, Naturwissenschaft und Metaphysik (im rationalistischen Sinne) möglich seien3, so wird begreiflich, daß in seiner Erkenntnistheorie


2 Vgl. Fr. Kliroke, Der Monismus und seine philosophischen Grundlagen, Freiburg 1911, S. 382 ff. Diese Arbeit, deren Titel nicht im entferntesten die Gedankenmassen ahnen läßt, die darin verarbeitet sind, behandelt im IV. Buch S. 371—533, freilich unter dem Gesichtspunkte des erkenntnistheoretischen Monismus, die für uns im folgenden noch in Betracht kommenden Richtungen des Konszientialismus und Phänomen aJismus.

3 „... die Hauptfrage immer bleibt, was und wieviel kann Verstand und Vernunft frei von aller Erfahrung, erkennen ..." Krit d. r. V. *, Leipzig, Vorr. z. erst. Ausg. S. XVII. Vgl. femer für die drei Teile der transzendentalen Hauptfrage Proleg., Leipzig, S. 57 ff. Külpe bemerkt mit Recht, daß Kant, der so sehr vor Grenzüberschreitungen warnte, sich selbst untreu wurde, und aus der Theorie der Formalwissenschaften eine solche der Wissenschaft überhaupt werden ließ.

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