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Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus

Weltanschauung ist weit entfernt von bloßer punktueller Existenz einer vom Leben abgelösten Theorie. Der Geist ist nur zu begreifen, wenn die ganze Fülle seiner Leistungen, d. h. seine Geschichte, in ihm aufgehoben wird, mit welcher stets wachsenden Fülle in ihrer philosophischen Begriffenheit ein sich fortwährend steigerndes Mittel der lebendigen Begreifung des absoluten Geistes Gottes gegeben ist. Die Geschichte und deren kulturphilosophisch-teleologische Deutung muß ein bedeutungsbestimmendes Element für das Kategorienproblem werden, wenn anders man daran denken will, den Kosmos der Kategorien herauszuarbeiten, um so über eine dürftige, schematische Kategorientafel hinauszukommen. Das ist neben der Gegenstandsbereichabgrenzung und der Einbeziehung des Urteilsproblems das dritte Grunderfordernis für eine aussichtsreiche Lösung des Kategorienproblems. Umgekehrt können allererst von einer so weit orientierten Kategorienlehre aus die begrifflichen Mittel und Zielgebungen beigebracht werden, um die einzelnen Epochen der Geistesgeschiclite lebendig zu begreifen. Das in der Einleitung gestreifte Problem der „mittelalterlichen Weltanschauung", das im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung besonders interessieren muß, läßt bis heute, soweit es überhaupt tiefergehend bearbeitet wird, die eigentliche begriffliche, kulturphilosophische Fundierung, die dem Ganzen erst Klarheit, Sicherheit und Einheit geben kann, vermissen. Der eigentümliche Lebenswille und die feine seelische Gehaltenheit einer solchen Zeit fordern die ihnen konforme Aufgeschlossenheit einfühlenden Verstehens und weit — d. h. philosophisch orientierten Wertens. Der in dieser Untersuchung7 bei dem Problem der metaphysischen Wirklichkeit besprochene Begriff der Analogie z. B. scheint zunächst ein recht verblaßter und nicht weiter bedeutungsvoller Schulbegriff zu sein. Er enthält aber als herrschendes Prinzip in der Kategoriensphäre der sinnlichen und übersinnlichen Realität den begrifflichen Ausdruck


7 Vgl. oben S. 255 ff.

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