Dieses Seinsverständnis mag noch so sehr schwanken und verschwimmen und sich hart an der Grenze einer bloßen Wortkenntnis bewegen — diese Unbestimmtheit des je schon verfügbaren Seinsverständnisses ist selbst ein positives Phänomen, [6] das der Aufklärung bedarf. Eine Untersuchung über den Sinn von Sein wird diese jedoch nicht zu Anfang geben wollen. Die Interpretation des durchschnittlichen Seinsverständnisses gewinnt ihren notwendigen Leitfaden erst mit dem ausgebildeten Begriff des Seins. Aus der Helle des Begriffes und der ihm zugehörigen Weisen des expliziten Verstehens seiner wird auszumachen sein, was das verdunkelte, bzw. noch nicht erhellte Seinsverständnis meint, welche Arten der Verdunkelung, bzw. der Behinderung einer expliziten Erhellung des Seinssinnes möglich und notwendig sind.
Das durchschnittliche, vage Seinsverständnis kann ferner durchsetzt sein von überlieferten Theorien und Meinungen über das Sein, so zwar, daß dabei diese Theorien als Quellen des herrschenden Verständnisses verborgen bleiben. — Das Gesuchte im Fragen nach dem Sein ist kein völlig Unbekanntes, wenngleich zunächst ganz und gar Unfaßliches.
Das Gefragte der auszuarbeitenden Frage ist das Sein, das, was Seiendes als Seiendes bestimmt, das, woraufhin Seiendes, mag es wie immer erörtert werden, je schon verstanden ist. Das Sein des Seienden »ist« nicht selbst ein Seiendes. Der erste philosophische Schritt im Verständnis des Seinsproblems besteht darin, nicht μΰθόν τινα διηγεΐσθαι1, »keine Geschichte erzählen«, d. h. Seiendes als Seiendes nicht durch Rückführung auf ein anderes Seiendes in seiner Herkunft zu bestimmen, gleich als hätte Sein den Charakter eines möglichen Seienden. Sein als das Gefragte fordert daher eine eigene Aufweisungsart, die sich von der Entdeckung des Seienden wesenhaft unterscheidet. Sonach wird auch das Erfragte, der Sinn von Sein, eine eigene Begrifflichkeit verlangen, die sich wieder wesenhaft
1 Plato, Sophistes 242 c.