23
§ S. Daseinsanalytik und Interpretation des Seinssinnes

Daseins in expliziter Orientierung am Seinsproblem selbst zureichend herausgearbeitet sind, wird der bisherige Gewinn der Daseinsauslegung seine existenziale Rechtfertigung erhalten.

Eine Analytik des Daseins muß also das erste Anliegen in der Frage nach dem Sein bleiben. Dann wird aber das Problem einer Gewinnung und Sicherung der leitenden Zugangsart zum Dasein erst recht brennend. Negativ gesprochen: es darf keine behebige Idee von Sein und Wirklichkeit, und sei sie noch so »selbstverständlich«, an dieses Seiende konstruktiv-dogmatisch herangebracht, keine aus einer solchen Idee vorgezeichneten »Kategorien« dürfen dem Dasein ontologisch unbesehen aufgezwungen werden. Die Zugangs- und Auslegungsart muß vielmehr dergestalt gewählt sein, daß dieses Seiende sich an ihm selbst von ihm selbst her zeigen kann. Und zwar soll sie das Seiende in dem zeigen, wie es zunächst und zumeist ist, in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit. An dieser sollen nicht beliebige und zufällige, sondern wesenhafte Strukturen herausgestellt [17] werden, die in jeder Seinsart des faktischen Daseins sich als seinsbestimmende durchhalten. Im Hinblick auf die Grundverfassung der Alltäglichkeit des Daseins erwächst dann die vorbereitende Hebung des Seins dieses Seienden.

Die so gefaßte Analytik des Daseins bleibt ganz auf die leitende Aufgabe der Ausarbeitung der Seinsfrage orientiert. Dadurch bestimmen sich ihre Grenzen. Sie kann nicht eine vollständige Ontologie des Daseins geben wollen, die freilich ausgebaut sein muß, soll so etwas wie eine »philosophische« Anthropologie auf einer philosophisch zureichenden Basis stehen. In der Absicht auf eine mögliche Anthropologie, bzw. deren ontologische Fundamentierung, gibt die folgende Interpretation nur einige, wenngleich nicht unwesentliche »Stücke«. Die Analyse des Daseins ist aber nicht nur unvollständig, sondern zunächst auch vorläufig. Sie hebt nur erst das Sein dieses Seienden heraus ohne Interpretation seines Sinnes. Die Freilegung des Horizontes für die ursprünglichste Seinsauslegung


Martin Heidegger (GA 2) Sein und Zeit

GA 2