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§ 7. Phänomenologische Methode der Untersuchung

B. Der Begriff des Logos


Der Begriff des λόγος ist bei Plato und Aristoteles vieldeutig, [32] und zwar in einer Weise, daß die Bedeutungen auseinanderstreben, ohne positiv durch eine Grundbedeutung geführt zu sein. Das ist in der Tat nur Schein, der sich so lange erhält, als die Interpretation die Grundbedeutung in ihrem primären Gehalt nicht angemessen zu fassen vermag. Wenn wir sagen, die Grundbedeutung von λόγος ist Rede, dann wird diese wörtliche Übersetzung erst vollgültig aus der Bestimmung dessen, was Rede selbst besagt. Die spätere Bedeutungsgeschichte des Wortes λόγος und vor allem die vielfältigen und willkürlichen Interpretationen der nachkommenden Philosophie verdecken ständig die eigentliche Bedeutung von Rede, die offen genug zutage hegt, λόγος wird »übersetzt«, d. h. immer ausgelegt als Vernunft, Urteil, Begriff, Definition, Grund, Verhältnis. Wie soll aber »Rede« sich so modifizieren können, daß λόγος all das Aufgezählte bedeutet und zwar innerhalb des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs? Auch wenn λόγος im Sinne von Aussage verstanden wird, Aussage aber als »Urteil«, dann kann mit dieser scheinbar rechtmäßigen Übersetzung die fundamentale Bedeutung doch verfehlt sein, zumal wenn Urteil im Sinne irgendeiner heutigen »Urteilstheorie« begriffen wird, λόγος besagt nicht und jedenfalls nicht primär Urteil, wenn man darunter ein »Verbinden« oder eine »Stellungnahme« (Anerkennen — Verwerfen) versteht.

λόγος als Rede besagt vielmehr soviel wie δηλοΰν, offenbar machen das, wovon in der Rede »die Rede« ist. Aristoteles hat diese Funktion der Rede schärfer expliziert als άποφαίνεσθαι.1 Der λόγος läßt etwas sehen (φαίνεσθαι), nämlich das, worüber die Rede ist und zwar für den Redenden (Medium), bzw. für die miteinander Redenden. Die Rede »läßt sehen» άπό ... von dem selbst her, wovon die Rede ist. In der Rede


1 Vgl. de interpretatione cap. 1—6. Ferner Met. Z 4 und Eth. Nic. Z.


Martin Heidegger (GA 2) Sein und Zeit

GA 2