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§ 32. Transz. Einbildungskraft und ihr Bezug zur Zeit

2. aus dem Vermögen der Nachbildung, welches Vorstellungen der vergangenen Zeit sind: facultas imaginandi;

3. aus dem Vermögen der Vorbildung, welches Vorstellungen der zukünftigen Zeit sind; facultas praevidendi" 246.


Der Ausdruck „Abbildung" bedarf einer kurzen Erläuterung. Er meint nicht das Herstellen eines Abbildes im Sinne einer Kopie, sondern meint den Anblick, der am anwesenden (gegenwärtigen) Gegenstand selbst unmittelbar abzunehmen ist. Das Ab-bilden meint nicht ein Nach-bilden, sondern das Bild-geben im Sinne des unmittelbaren Vernehmens des Aussehens des Gegenstandes selbst.

Ohne daß Kant an dieser Stelle von der transzendentalen Einbildungskraft spricht, wird doch das Eine deutlich, daß das Bilden der „Einbildung" in sich zeitbezogen ist. Das reine Einbilden aber, das reines heißt, weil es sich sein Gebilde von sich aus bildet, muß als in sich zeitbezogenes gerade die Zeit allererst bilden. Zeit als reine Anschauung heißt weder nur das im reinen Anschauen Angeschaute, noch nur das Anschauen, dem der „Gegenstand" fehlt. Die Zeit als reine Anschauung ist in einem das bildende Anschauen seines Angeschauten. Dies erst gibt den vollen Begriff der Zeit.

Die reine Anschauung kann aber das reine Nacheinander der Jetztfolge als solches nur dann bilden, wenn sie in sich ab-, vor- und nachbildende Einbildungskraft ist. Die Zeit darf daher keineswegs, und gerade auch nicht im Kantischen Sinne, als ein beliebiges Feld gedacht werden, an das die Einbildungskraft nun einmal zu Zwecken ihrer Betätigung gleichsam hingeraten ist. Sonach muß zwar die Zeit in dem Horizont, innerhalb dessen wir „mit der Zeit rechnen", als reine Jetztfolge genommen werden. Diese Jetztfolge ist aber keineswegs die Zeit in ihrer Ursprünglichkeit. Die transzendentale Einbildungskraft vielmehr läßt die Zeit als Jetztfolge entspringen


246 Pölitz, Kants Vorlesungen über die Metaphysik, a. a. O. S. 88, vgl. S. 85.