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§ 38. Das eigentliche Ergebnis der Kantischen Grundlegung

Nicht die Antwort gilt es zu suchen auf die Frage, was der Mensch sei, sondern es gilt, allererst zu fragen, wie denn in einer Grundlegung der Metaphysik überhaupt nach dem Menschen allein gefragt werden kann und muß.

Die Fraglichkeit des Fragens nach dem Menschen ist diejenige Problematik, die im Geschehen der Kantischen Grundlegung der Metaphysik ans Licht drängt. Nun zeigt sich erst: Kants Zurückweichen vor dem von ihm selbst enthüllten Grund, vor der transzendentalen Einbildungskraft, ist — in Absicht auf die Rettung der reinen Vernunft, d. h. das Festhalten des eigenen Bodens — jene Bewegung des Philosophierens, die das Einbrechen des Bodens und damit den Abgrund der Metaphysik offenbart.

Erst von diesem Ergebnis aus gewinnt die oben durchgeführte ursprüngliche Auslegung der Kantischen Grundlegung ihr Recht und die Begründung ihrer Notwendigkeit. Nicht das leere Drängen auf das Ursprünglichere, nicht das Besserwissenwollen, sondern einzig die Aufgabe, den innersten Zug der Grundlegung und damit ihre eigenste Problematik freizulegen, leitete alle Bemühungen der Interpretation.

Wenn aber so die Grundlegung die Frage, was der Mensch sei, nicht etwa beiseiteschiebt, ihr aber auch nicht eine runde Antwort verschafft, sondern sie erst in ihrer Fraglichkeit sichtbar macht, wie steht es dann um die vierte Frage Kants, auf die die Metaphysica specialis und damit das eigentliche Philosophieren zurückgeführt werden soll?

Wir werden diese vierte Frage nur dann so stellen können, wie sie gestellt sein will, wenn wir sie aus dem jetzt gewonnenen Verständnis des Grundlegungsergebnisses her als Frage ausarbeiten und auf eine vorschnelle Antwort verzichten.

Es gilt zu fragen: warum lassen sich die drei Fragen (1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?) auf die vierte „beziehen“? Warum „könnte man ... alles dieses zur Anthropologie rechnen“? Was ist das Gemeinsame dieser drei Fragen, in welcher Hinsicht sind sie einheitlich,


Martin Heidegger (GA 3) Kant und das Problem der Metaphysik