DER URSPRUNG DES KUNSTWERKESa



Ursprungb bedeutet hier jenes, von woher und wodurch eine [7] Sache ist, was sie ist und wie sie ist. Das, was etwas ist, wie es ist, nennen wir sein Wesen. Der Ursprung von etwas ist die Herkunft seines Wesens. Die Frage nach dem Ursprung des Kunstwerkes fragt nach seiner Wesensherkunft. Das Werk entspringt nach der gewöhnlichen Vorstellung aus der und durch die Tätigkeit des Künstlers. Wodurch aber und woher ist der Künstler dasc, was er ist? Durch das Werk; denn, daß ein Werk den Meister lobe, heißt: das Werk erst läßt den Künstler als einen Meister der Kunst hervorgehen. Der Künstler ist der Ursprung des Werkes. Das Werk ist der Ursprung des Künstlers. Keines ist ohne das andere. Gleichwohl trägt auch keines der beiden allein das andere. Künstler und Werk sind je in sich und in ihrem Wechselbezug durch ein Drittes, welches das erste ist, durch jenes nämlich, von woher Künstler und Kunstwerk ihren Namen haben, durch die Kunst.

So notwendig der Künstler in einer anderen Weise der Ursprung des Werkes ist als das Werk der Ursprung des Künstlers, so gewiß ist die Kunst in einer noch anderen Weise der Ursprung für den Künstler und das Werk zumal. Aber kann denn die Kunst überhaupt ein Ursprung sein? Wo und wie


a Reclam-Ausgabe 1960: Der Versuch (1935/37) unzureichend zufolge des ungemäßen Gebrauchs des Namens ›Wahrheit‹ für die noch zurückgehaltene Lichtung und das Gelichtete. Vgl. »Wegmarken« S. 268 FF. »Hegel und die Griechen«; »Zur Sache des Denkens«, S. 77 Fußnote »Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens«. — Kunst: Das im Ereignis gebrauchte Her-vor-bringen der Lichtung des Sichverbergens — Bergens ins Ge-Bild.
Her-vor-bringen und Bilden: vgl. »Sprache und Heimat«, »Aus der Erfahrung des Denkens«.

b Reclam-Ausgabe 1960: Mißverständlich die Rede vom »Ursprung«.

c Reclam-Ausgabe 1960: der, der er ist.


Martin Heidegger (GA 5) Holzwege page 1