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Der Ursprung des Kunstwerkes

Aus dem Hinblick auf die erreichte Wesensumgrenzung des [49] Werkes, wonach im Werk das Geschehnis der Wahrheit am Werke ist, können wir das Schaffen als das Hervor gehenlassen in ein Hervorgebrachtes kennzeichnen. Das Werkwerden des Werkes ist eine Weise des Werdens und Geschehens der Wahrheit. In deren Wesen liegt alles. Aber was ist die Wahrheit, daß sie in dergleichen wie einem Geschaffenen geschehen muß? Inwiefern hat die Wahrheit aus dem Grunde ihres Wesens einen Zug zum Werk? Läßt sich dies aus dem bisher aufgehellten Wesen der Wahrheit begreifen?

Die Wahrheit ist Un-Wahrheit, insofern zu ihr der Herkunftsbereich des Noch-nicht (des Un-)Entborgenen im Sinne der Verbergung gehört. In der Un-verborgenheit als Wahrheit west zugleich das andere »Un-« eines zwiefachen Verwehrens. Die Wahrheit west als solche im Gegeneinander von Lichtung und zwiefacher Verbergung. Die Wahrheit ist der Urstreit, in dem je in einer Weise das Offene erstritten wird, in das alles hereinsteht und aus dem alles sich zurückhält, was als Seiendes sich zeigt und entzieht. Wann und wie immer dieser Streit ausbricht und geschieht, durch ihn treten die Streitenden, Lichtung und Verbergung, auseinander. So wird das Offene des Streitraumes erstritten. Die Offenheit dieses Offenen, d. h. die Wahrheit, kann nur sein, was sie ist, nämlich diese Offenheit, wenn sie sich und solange sie sich selbst in ihr Offenes einrichtet. Darum muß in diesem Offenen je ein Seiendes sein, worin die Offenheit ihren Stand und ihre Ständigkeit nimmt. Indem die Offenheit das Offene besetzt, hält sie dieses offen und aus. Setzen und Besetzen sind hier überall aus dem griechischen Sinn der θέσις gedacht, die ein Aufstellen im Unverborgenen meint.

Mit dem Hinweis auf das Sicheinrichten der Offenheit in das Offenea rührt das Denken an einen Bezirk, der hier noch


a Reclam-Ausgabe 1960: Dazu die ›ontologische Differenz‹, vgL »Identität und Differenz«, S. 37 ff.


Martin Heidegger (GA 5) Holzwege

GA 5