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Der Ursprung des Kunstwerkes

sensherkunft ins Sein bringen, das meint das Wort Ursprung.

Der Ursprung des Kunstwerkes, d. h. zugleich der Schaffenden und Bewahrenden, das sagt des geschichtlichen Daseins eines Volkes, ist die Kunst. Das ist so, weil die Kunst in ihrem Wesen ein Ursprung ist: eine ausgezeichnete Weise, wie Wahrheit seiend, d. h. geschichtlich wird.

Wir fragen nach dem Wesen der Kunst. Weshalb fragen wir so? Wir fragen so, um eigentlicher fragen zu können, ob die Kunst in unserem geschichtlichen Dasein ein Ursprung ist oder nicht, ob und unter welchen Bedingungen sie es sein kann und sein muß.

Solches Besinnen vermag die Kunst und ihr Werden nicht zu erzwingen. Aber dieses besinnliche Wissen ist die vorläufige und deshalb unumgängliche Vorbereitung für das Werden der Kunst. Nur solches Wissen bereitet dem Werk den Rauma, den Schaffenden den Weg, den Bewahrenden den Standort.

In solchem Wissen, das nur langsam wachsen kann, entscheidet sich, ob die Kunst ein Ursprung sein kann und dann ein Vorsprung sein muß, oder ob sie nur ein Nachtrag bleiben soll und dann nur mitgeführt werden kann als eine üblich gewordene Erscheinung der Kultur.

Sind wir in unserem Dasein geschichtlich am Ursprung? Wissen wir, d. h. achten wir das Wesen des Ursprunges? Oder berufen wir uns in unserem Verhalten zur Kunst nur noch auf gebildete Kenntnisse des Vergangenen?

Für dieses Entweder-Oder und seine Entscheidung gibt es ein untrügliches Zeichen. Hölderlin, der Dichter, dessen Werk zu bestehen den Deutschen noch bevorsteht, hat es genannt, indem er sagt:

»Schwer verläßt

Was nahe dem Ursprung wohnet, den Ort.«

Die Wanderung, Bd. IV (Hellingrath), S. 167.


a Reclam-Ausgabe 1960: Ortschaft des Aufenthaltes.

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