Man könnte vermuten, das Wort »Gott ist tot« spreche eine Meinung des Atheisten Nietzsche aus und sei daher nur eine persönliche Stellungnahme und deshalb einseitig und darum auch durch den Hinweis leicht widerlegbar, daß heute allenthalben viele Menschen die Gotteshäuser aufsuchen und aus einem christlich bestimmten Gottvertrauen die Drangsale bestehen. Aber die Frage bleibt, ob das genannte Wort Nietzsches nur eine verstiegene Ansicht eines Denkers ist, über den die richtige Aussage bereitsteht, er sei zuletzt wahnsinnig geworden. Zu fragen bleibt, ob Nietzsche hier nicht eher das Wort ausspricht, das innerhalb der metaphysisch bestimmten Geschichte des Abendlandes immer schon unausgesprochen gesagt wird. Vor jeder übereilten Stellungnahme müssen wir erst versuchen, das Wort »Gott ist tot« so zu denken, wie es gemeint ist. Wir tun daher gut daran, alles voreilige Meinen, das sich bei diesem furchtbaren Wort sogleich vordrängt, abzustellen.
Die folgenden Überlegungen versuchen, das Wort Nietzsches nach einigen wesentlichen Hinsichten zu erläutern. Noch einmal sei eingeschärft: Das Wort Nietzsches nennt das Geschick von zwei Jahrtausenden abendländischer Geschichte. Wir selbst dürfen, unvorbereitet wie wir alle zusammen sind, nicht meinen, durch einen Vortrag über das Wort Nietzsches dieses Geschick abzuändern oder es auch nur hinreichend wissen zu lernen. Gleichwohl ist jetzt dieses Eine nötig, daß wir aus der Besinnung eine Belehrung empfangen und auf dem Wege der Belehrung uns besinnen lernen.
Jede Erläuterung muß freilich die Sache nicht nur dem Text entnehmen, sie muß auch, ohne darauf zu pochen, unvermerkt Eigenes aus ihrer Sache dazu geben. Diese Beigabe ist dasjenige, was der Laie, gemessen an dem, was er für den Inhalt des Textes hält, stets als ein Hineindeuten empfindet und mit dem Recht, das er für sich beansprucht, als Willkür bemängelt. Eine rechte Erläuterung versteht jedoch den Text nie besser als dessen Verfasser ihn verstand, wohl aber anders.