Der Spruch des Anaximander
»Woraus aber die Dinge das Entstehen haben, dahin geht auch ihr Vergehen nach der Notwendigkeit; denn sie zahlen einander Strafe und Buße für ihre Ruchlosigkeit nach der festgesetzten Zeit.«
Die Übersetzungen von Nietzsche und Diels sind nach Antrieb und Absicht verschiedener Herkunft. Gleichwohl unterscheiden sie sich kaum voneinander. Die Übersetzung von Diels ist in manchem wörtlicher. Aber solange eine Übersetzung nur wörtlich ist, braucht sie noch nicht wortgetreu zu sein. Wortgetreu ist sie erst, wenn ihre Wörter Worte sind, sprechend aus der Sprache der Sache.
Wichtiger als das allgemeine Zusammenstimm en der beiden Übersetzungen ist die ihnen zugrundegelegte Auffassung von Anaximander. Nietzsche rechnet ihn unter die Vorplatoniker, Diels unter die Vorsokratiker. Beide Benennungen sagen das Gleiche. Das unausgesprochene Richtmaß für die Deutung und Beurteilung der frühen Denker ist die Philosophie von Platon und Aristoteles. Beide gelten als die nach vorwärts und rückwärts maßgebenden Philosophen der Griechen. Diese Anschauung hat sich auf dem Wege über die Theologie des Christentums zu einer allgemeinen und bis heute nicht erschütterten Überzeugung verfestigt. Auch dort, wo die philologische und historische Forschung sich inzwischen eingehender mit den Philosophen vor Platon und Aristoteles beschäftigt, geben bei der Interpretation noch die platonischen und aristotelischen Vorstellungen und Begriffe, neuzeitlich abgewandelt, den Leitfaden . Das ist sogar auch dort der Fall, wo man in der Entsprechung zur klassischen Archäologie und zur Literaturgeschichte versucht, das Archaische im frühen Denken zu treffen. Es bleibt bei den klassischen und klassizistischen Vorstellungen. Man redet von archaischer Logik und bedenkt nicht, daß es eine Logik erst innerhalb des platonischen und aristotelischen Schulbetriebes gibt.