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Der Charakter des »Beweises« der Wiederkunftslehre

Es gibt in der Tat heute noch Gelehrte, die sich mit Philosophie beschäftigen und die Standpunktsfreiheit für keinen Standpunkt halten, als welcher sie doch nur sein kann, was sie ist. Diese merkwürdigen Versuche, vor seinem eigenen Schatten zu fliehen, mögen auf sich beruhen, denn ihre Erörterung ist sachlich unergiebig. Nur eines muß bedacht werden: Dieser Standpunkt der Standpunktsfreiheit ist der Meinung, die bisherigen Einseitigkeiten und Voreingenommenheiten der Philosophie, die jederzeit standpunktlich waren und sind, zu überwinden. In Wahrheit aber ist dieser Standpunkt der Standpunktslosigkeit nicht Überwindung, sondern nur die äußerste Folge und Bejahung und so der Schlußschritt jener Meinung von der Philosophie, die alle Philosophie äußerlich auf Standpunkte als etwas letztes Vorfindliches festlegt und ihre Einseitigkeiten zum Ausgleich zu bringen sucht. Aber der Standortcharakter als wesentliche und unumgängliche Mitgift jeder Philosophie wird nicht dadurch in seiner vermeintlichen und gefürchteten Schädlichkeit und Gefährlichkeit behoben, daß man ihn leugnet und verleugnet, sondern nur so, daß man den Standortcharakter auf sein ursprüngliches Wesen und seine Notwendigkeit hin durchdenkt und begreift, d. h. die Frage nach dem Wesen der Wahrheit und des Daseins des Menschen von Grund aus neu steht und beantwortet.

Entweder wird die Ausschaltung jeglicher Vermenschung für möglich gehalten, dann muß es so etwas geben können wie den Standpunkt der Standpunktsfreiheit; oder aber der Mensch wird in seinem Eckensteherwesen anerkannt, dann muß auf eine nichtvermenschende Erfassung des Weltganzen verzichtet werden. Wie entscheidet sich Nietzsche in diesem Entweder-Oder. das ihm, kaum verbergen bleiben konnte, weil er es zum Teil mitentfalten sollte? Er entscheidet sich für beides, sowohl für den Willen zur Entmenschung des Seienden im Ganzen als auch für den Willen, mit dem Eckensteherwesen des Menschen Ernst zu machen. Nietzsche entscheidet sich für den Zusammenschluß beider Willen. Er fordert die höchste Vermenschung


Martin Heidegger (GA 6 I) Nietzsche I

GA 6-1