Der Wille, den Nihilismus zu überwinden, verkennt sich selbst, weil er von der Offenbarkeit des Wesens des Nihilismus als der Geschichte des Ausbleibens des Seins sich selbst aussperrt, ohne sein Tun wissen zu dürfen. Die Verkennung der wesenhaften Unmöglichkeit, innerhalb der Metaphysik, und sei es auch durch ihre Umkehrung, den Nihilismus zu überwinden, könnte so weit gehen, daß man die Leugnung dieser Möglichkeit sogleich für ein Jasagen zum Nihilismus nimmt oder doch als eine Gleichgültigkeit, die dem Ablauf des nihilistischen Verderbens zusieht, ohne Hand anzulegen. Weil das Ausbleiben des Seins die Geschichte des Seins und so die eigentlich seiende Geschichte ist, fällt das Seiende als solches und zumal in der Epoche der Herrschaft des Unwesens des Nihilismus in das Ungeschichtliche. Das Zeichen dafür ist das Aufkommen der Historie, die den Anspruch erhebt, die maßgebende Vorstellung von der Geschichte zu sein. Sie nimmt diese als das Vergangene und erklärt es in seinem Entstehen als einen ursächlich nachweisbaren Wirkungszusammenhang. Das so durch Erzählung und Erklärung vergegenständlichte Vergangene erscheint im Gesichtskreis derjenigen Gegenwart, die jeweils die Vergegenständlichung vollzieht und, wenn es hochkommt, sich selbst als das Produkt des vergangenen Geschehens erklärt. Was Tatsachen und Tatsächlichkeit sind, was überhaupt an dieser Art von Vergangenem das Seiende sei, glaubt man zu wissen, weil die Vergegenständlichung durch die Historie immer irgendein Material von Tatsachen vorzubringen und in eine gemeinverständliche und vor allem »gegenwartsnahe« Einsichtigkeit zu stellen weiß.

Überall wird die historische Situation zergliedert; denn sie ist Ausgang und Ziel der Bewältigung des Seienden im Sinne einer Sicherung des Standortes und der Verhältnisse des Menschen inmitten des Seienden. Die Historie steht bewußt


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Martin Heidegger (GA 6 II) Nietzsche II

GA 6-2