Doch gibt es heute noch etwas, wofür der Mensch sich nicht interessiert, in der Weise nämlich, wie der heutige Mensch das »Interessieren« versteht?
Inter-esse heißt: unter und zwischen den Sachen sein, mitten in einer Sache stehen und bei ihr ausharren. Allein, für das heutige Interesse gilt nur das Interessante. Das ist solches, was erlaubt, im nächsten Augenblick schon gleichgültig zu sein und durch anderes abgelöst zu werden, was einen dann ebensowenig angeht wie das vorige. Man meint heute oft, etwas sei dadurch besonders gewürdigt, daß man es interessant findet. In Wahrheit hat man durch dieses Urteil das Interessante zum Gleichgültigen hinabgewürdigt und in das alsbald Langweilige weggeschoben.
Daß man ein Interesse für die Philosophie zeigt, bezeugt keineswegs schon eine Bereitschaft zum Denken. Selbst die Tatsache, daß wir uns Jahre hindurch mit den Abhandlungen und Schriften der großen Denker eindringlich abgeben, leistet noch nicht die Gewähr, daß wir denken oder auch nur bereit sind, das Denken zu lernen. Die Beschäftigung mit der Philosophie kann uns sogar am hartnäckigsten den Anschein vorgaukeln, daß wir denken, weil wir doch »philosophieren«.
Gleichwohl erscheint es als anmaßend, zu behaupten, daß wir noch nicht denken. Allein, die Behauptung lautet anders. Sie sagt: das Bedenklichste zeigt sich in unserer bedenklichen Zeit daran, daß wir noch nicht denken. In der Behauptung wird darauf hingewiesen, daß das Bedenklichste sich zeigt. Die Behauptung versteigt sich keineswegs zu dem abschätzigen Urteil, überall herrsche nur die Gedankenlosigkeit. Die Behauptung, daß wir noch nicht denken, will auch keine Unterlassung brandmarken. Das Bedenkliche ist das, was zu denken gibt. Von sich her spricht es uns daraufhin an, daß wir uns ihm zuwenden, und zwar denkend. Das Bedenkliche wird keineswegs durch uns erst aufgestellt. Es beruht niemals nur darauf, daß wir es vorstellen. Das Bedenkliche gibt, es gibt uns zu denken. Es gibt, was es bei sich hat.d Es
d 3. Auflage 1967: Es gibt