Er heißt der Dunkle, ό Σκοτεινός. In diesem Ruf stand Heraklit [249] schon zu der Zeit, da seine Schrift noch vollständig erhalten war. Jetzt kennen wir nur noch Bruchstücke daraus. Spätere Denker, Platon und Aristoteles, nachkommende Schriftsteller und Gelehrte der Philosophie, Theophrast, Sextus Empiricus, Diogenes Laërtius und Plutarch, aber auch christliche Kirchenväter, Hippolytus, Clemens Alexandrinus und Origenes führen in ihren Werken hier und dort Stellen aus der Schrift des Heraklit an. Diese Zitate sind als Fragmente gesammelt, welche Sammlung wir der philologischen und philosophiehistorischen Forschung verdanken. Die Fragmente bestehen bald aus mehreren Sätzen, bald nur aus einem einzigen, zuweilen sind es bloße Satzfetzen und vereinzelte Wörter.
Der Gedankengang der späteren Denker und Schriftsteller bestimmt die Auswahl und die Art der Anführung von Worten Heraklits. Dadurch ist der Spielraum ihrer jeweiligen Auslegung festgelegt. Deshalb können wir durch eine genauere Betrachtung ihres Fundortes in den Schriften der späteren Autoren stets nur denjenigen Zusammenhang ausmachen, in den das Zitat von ihnen eingerückt, nicht aber jenen, aus dem es bei Heraklit entnommen wurde. Die Zitate samt den Fundstellen überliefern uns das Wesentliche gerade nicht: die alles gliedernde und maßgebende Einheit des inneren Baues der Schrift Heraklits. Nur aus einem ständig wachsenden Einblick in dieses Baugefüge ließe sich dartun, von woher die einzelnen Bruchstücke sprechen, in welchem Sinne jedes als ein Spruch gehört werden darf. Weil jedoch die quellende Mitte, aus der Heraklits Schrift ihre Einheit empfing, kaum zu vermuten und immer schwer zu denken ist, [250] kann dieser Denker erst recht für uns »der Dunkle« heißen. Der eigentliche Sinn, in dem der Beiname zu uns spricht, bleibt selbst dunkel.
Heraklit heißt »der Dunkle«. Aber er ist der Lichte. Denn er sagt das Lichtende, indem er versucht, dessen Scheinen in die Sprache des Denkens hervorzurufen. Das Lichtende währt, insofern es lichtet. Wir nennen sein Lichten die Lichtung. Was zu ihr