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Vorlesung Winter semester 1951 / 52

zugesprochen wird. Das Denken lernen wir, indem wir auf das achten, was es zu bedenken gibt.

Unsere Sprache nennt z.B. das, was zum Wesen des Freundes gehört, das Freundliche. Dementsprechend nennen wir jetzt das, was in sich das zu-Bedenkende ist: das Bedenkliche. Alles Bedenkliche gibt zu denken. Aber es gibt diese Gabe immer nur insoweit, als das Bedenkliche von sich her schon das zu-Bedenkende ist. Wir nennen jetzt und in der Folge dasjenige, was stets, weil einsther und allem voraus, zu bedenken bleibt: das Bedenklichste. Was ist das Bedenklichste? Wie zeigt es sich in unserer bedenklichen Zeit?

Das Bedenklichste ist, daß wir noch nicht denken; immer noch nicht, obgleich der Weltzustand fortgesetzt bedenklicher wird. Dieser Vorgang scheint freilich eher zu fordern, daß der Mensch handelt und zwar ohne Verzug, statt in Konferenzen und auf Kongressen zu reden und sich im bloßen Vorstellen dessen zu bewegen, was sein sollte und wie es gemacht werden müßte. Somit fehlt es am Handeln und keineswegs am Denken.

Und dennoch — vielleicht hat der bisherige Mensch seit Jahrhunderten bereits zu viel gehandelt und zu wenig gedacht. Aber wie kann heute jemand behaupten, daß wir noch nicht denken, wo doch überall das Interesse für die Philosophie rege ist und immer lauter wird, wo beinahe jedermann wissen will, was es denn mit der Philosophie auf sich hat. Die Philosophen sind »die« Denker. So heißen sie, weil sich das Denken eigentlich in der Philosophie abspielt.

Niemand wird bestreiten wollen, daß heute ein Interesse für die Philosophie besteht. Doch gibt es heute noch etwas, wofür der Mensch sich nicht interessiert, in der Weise nämlich, wie er das »interessieren« versteht?

Inter-esse heißt: unter und zwischen den Sachen sein, mitten in einer Sache stehen und bei ihr bleiben. Allein für das heutige Interesse gilt nur das Interessante. Das ist solches, was erlaubt, im nächsten Augenblick schon gleichgültig zu sein und durch anderes abgelöst zu werden, was einen dann ebensowenig angeht wie


Martin Heidegger (GA 8) Was heisst Denken?

What Is Called Thinking? p. 4