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Vorlesung Sommer semester 1952

einheitlichen Zusammenhang der vier genannten Weisen, dann fragen wir sie unausweichlich im Sinne der maßgebenden vierten. Sie lautet dann: welches ist das Geheiß, das uns in das Denken im Sinne des aussagenden λόγος gewiesen hat und noch weist?

Diese Frage ist keine historische mehr, wohl dagegen eine geschichtliche. Aber auch geschichtlich nicht in dem Sinne, daß sie ein Geschehen als Ablauf vorstellt, in dessen Verlauf mancherlei bewirkt wurde, unter anderem dies, daß das Denken nach der Weise des λόγος zur Geltung und in die Übung kam. Die Frage: »Welches Geheiß hat die Weise des Denkens in das λέγειν des λόγος gewiesen?« ist eine geschichtliche, vielleicht sogar die geschichtliche Frage, geschichtlich allerdings im Sinne des Geschickhaften. Sie frägt nach dem, was unser Wesen in die Weise des λόγος-mäßigen Denkens schickt, dahin anweist und darin verwendet und somit mancherlei Wendemöglichkeiten vorzeichnet. So ist die Wesensbestimmung des Denkens bei Platon nicht die gleiche wie bei Leibniz, aber die selbe. Beide gehören in einen tragenden Wesensgrundzug zusammen, der auf verschiedene Weise zum Vorschein kommt.

Das Geschickhafte der Schickung in solches Denken und somit diese Schickung selbst gelangen jedoch niemals in unseren Gesichtskreis, solange wir die Geschichte im vorhinein nur als Geschehen und dieses als Ablauf von Wirkungszusammenhängen vorstellen. Es genügt auch nicht, wenn wir das so vorgestellte Geschehen aufteilen in solches, dessen Wirkungszusammenhänge durchsichtig und verständlich sind, und in solches, das unverständlich und undurchsichtig bleibt, solches, was man »Schicksal« zu nennen pflegt. Das Geheiß als Schickung ist so wenig etwas Unverständliches und dem Denken Fremdes, daß es vielmehr gerade das eigentlich zu-Denkende bleibt und als dieses auf ein Denken wartet, das ihm entspricht.

Wir müssen uns schon, um der Frage, was nach der bisherigen Lehre »Denken« heiße, gewachsen zu sein, darauf einlassen, die Frage zu fragen. Darin liegt: wir müssen uns eigens in das Geheiß,


Martin Heidegger (GA 8) Was heisst Denken?

What Is Called Thinking? pp. 164-165