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Phänomenologie und Theologie

deckt mit: spekulativer Gotteserkenntnis, Religionswissenschaft und Religionspsychologie überhaupt, möchte aber zugleich betonen, daß die Theologie einen besonderen Fall von Religionsphilosophie, Religionshistorie etc. darstellt, die philosophisch-historisch-psychologische Wissenschaft von der christlichen Religion. Nach dem Gesagten aber ist klar: Systematische Theologie ist nicht eine auf die christliche Religion bezogene Religionsphilosophie, sowenig wie Kirchengeschichte eine auf die christliche Religion eingeschränkte Religionsgeschichte darstellt. In all diesen Interpretationen der Theologie ist die Idee dieser Wissenschaft von vornherein preisgegeben, d. i. nicht aus dem Blick auf die spezifische Positivität geschöpft, sondern gewonnen auf dem Wege einer Deduktion und Spezialisierung von nichttheologischen und gar unter sich ganz heterogenen Wissenschaften—Philosophie, Historie und Psychologie. Wo freilich die Grenze der Wissenschaftlichkeit der Theologie liegt, d. h. wie weit die spezifischen Erfordernisse der Gläubigkeit selbst nach einer begrifflichen Durchsichtigkeit gehen und gehen können, um noch gläubig zu bleiben, ist ein ebenso zentrales wie schwieriges Problem, das aufs engste mit der Frage nach dem ursprünglichen Grunde der Einheit der drei Disziplinen der Theologie zusammenhängt.

Keinesfalls dürfen wir die Wissenschaftlichkeit der Theologie auf einem Wege bestimmen, bei dem eine andere Wissenschaft als leitender Maßstab der Evidenz ihrer Beweisart und der Strenge ihrer Begrifflichkeit vorweggenommen ist. Gemäß dem wesenhaft nur im Glauben enthüllten Positum der Theologie ist nicht nur der Zugang zu ihrem Gegenstande ein eigener, sondern auch die Evidenz der Ausweisung ihrer Sätze eine spezifische. Die eigentümliche Begrifflichkeit der Theologie kann nur aus ihr selbst erwachsen. Sie bedarf aber erst recht nicht der Anleihe bei anderen Wissenschaften, um ihre Beweisstücke zu mehren und zu sichern, noch kann sie gar versuchen, durch Beiziehung von Erkenntnissen anderer Wissenschaften die Evidenz des Glaubens zu steigern oder auch zu rechtfertigen. Vielmehr


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GA 9