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Was ist Metaphysik?

es da ist? In der Tat! Zunächst und zumeist vermag der Mensch nur dann zu suchen, wenn er das Vorhandensein des Gesuchten vorweggenommen hat. Nun aber ist das Nichts das Gesuchte. Gibt es am Ende ein Suchen ohne jene Vorwegnahme, ein Suchen, dem ein reines Finden zugehört?

Wie immer es damit bestellt sein mag, wir kennen das Nichts, wenn auch nur als das, worüber wir alltäglich dahin und daher reden. Dieses gemeine, in der ganzen Blässe des Selbstverständlichen verblichene Nichts, das sich so unauffällig in unserem Gerede herumtreibt, können wir uns sogar kurzerhand in einer »Definition« zurechtlegen:

Das Nichts ist die vollständige Verneinung der Allheit des Seienden. Gibt diese Charakteristik des Nichts am Ende nicht einen Fingerzeig in die Richtung, aus der her es uns allein begegnen kann?

Die Allheit des Seienden muß zuvor gegeben sein, um als solche schlechthin der Verneinung verfallen zu können, in der sich dann das Nichts selbst zu bekunden hätte.

Allein, selbst wenn wir von der Fragwürdigkeit des Verhältnisses zwischen der Verneinung und dem Nichts absehen, wie sollen wir — als endliche Wesen — das Ganze des Seienden in seiner Allheit an sich und zumal uns zugänglich machen? Wir können uns allenfalls das Ganze des Seienden in der »Idee« denken und das so Eingebildete in Gedanken verneinen und verneint »denken«. Auf diesem Wege gewinnen wir zwar den formalen Begriff des eingebildeten Nichts, aber nie das Nichts selbst. Aber das Nichts ist nichts, und zwischen dem eingebildeten und dem »eigentlichen« Nichts kann ein Unterschied nicht obwalten, wenn anders das Nichts die völlige Unterschiedslosigkeit darstellt. Das »eigentliche« Nichts selbst jedoch — ist das nicht wieder jener versteckte, aber widersinnige Begriff eines seienden Nichts? Zum letztenmal sollen jetzt die Einwände des Verstandes unser Suchen aufgehalten haben, das nur durch eine Grunderfahrung des Nichts in seiner Rechtmäßigkeit erwiesen werden kann.


Martin Heidegger (GA 9) Wegmarken

GA 9