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Vom Wesen und Begriff der Φύσις

Verschulden hat nicht den Charakter der Verursachung im Sinne der »kausal« wirkenden Auswickung; so gehört z.B. Räumlichkeit zum Sachcharakter der Materialität, aber der Raum verursacht nicht das Stoffliche; Ur-sache ist hier wörtlich zu verstehen, als das Ur-tümliche, was die Sacbheit einer Sache ausmacht. »Kausalität« ist nur eine abgeleitete Art des Ursacheseins.

Durch die bloße Nennung von Tier, Pflanze, Erde, Feuer, Wasser und Luft weist Aristoteles in den Bereich, bei dem die Frage nach der φύσις anzufragen hat.

»Alles dies Genannte aber zeigt sich als ein Solches, das sich heraushebt gegenüber dem, was nicht von der φύσις her zusammen sich in einen Stand und Bestand gestellt hat. « (192 b 12—15)

Συνεστῶτα wird hier gebraucht für ὄντα (vgl. 193 a 36 τοῖς φύσει συνισταμένοις); wir entnehmen daraus, was für die Griechen »Sein« besagt. Sie sprechen das Seiende als das »Ständige« an; das »Ständige« meint ein Zweifaches: einmal das In-sich-von-sich-her-Stand-habende, »da«-stehende; und zugleich das Ständige im Sinne des Währenden, Dauernden. Ganz ungriechisch dächten wir, wollten wir das Ständige als das Gegen-ständige fassen. Gegenstand ist die »Ubersetzung« von Objekt; als Objekt kann das Seiende erst dort erfahren werden, wo der Mensch zum Subjekt geworden ist, das in der Vergegenständlichung des Begegnenden als der Meisterung desselben das Grundverhältnis zum Seienden erfährt. Für die Griechen ist der Mensch niemals Subjekt, und deshalb kann das nichtmenschliche Seiende auch nie den Charakter des Objekts (Gegenstandes) haben. Φύσις ist das, was ein eigengeartetes Insichstehen von Ständigem verschuldet. Die φύσις wird in dem folgenden Satz deutlicher umrissen:

»Von diesem nämlich / das aus der φύσις her ist, was es ist und wie es ist / hat ein Jegliches in ihm selbst die ausgängliche Verfügung (ἀρχή) über die Bewegtheit und den Stillstand (Ruhe), wobei Bewegtheit und Ruhe das eine Mal hinsichtlich des Ortes,

Martin Heidegger (GA 9) Wegmarken

GA 9