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Vom Wesen und Begriff der Φύσις

die μορφή faßbar wird, ist der λόγος. Und wir müssen daher bei der Auslegung der nun folgenden Bestimmung des Wesens der μορφή als εἶδος nachsehen, ob und inwieweit Aristoteles selbst diesem Leitfaden folgt. Vorgreifend können wir sagen: die μορφή ist »Aussehen«, genauer, das Stehen in diesem und Sichstellen in es, allgemein die Gestellung in das Aussehen. Wenn daher im folgenden einfachhin von »Aussehen« die Rede ist, dann wird stets gedacht das Aussehen, das sich und sofern es sich ausgibt in das Jeweilige (das »Aussehen« »Tisch« in diesen Tisch hier). Das Jeweilige heißt so, weil es als Geeinzeltes im Aussehen verweilt und dessen Weile (Anwesung) verwahrt und von solcher Verwahrung des Aussehens her in ihm und aus ihm heraus steht, d.h. griechisch »ist«.

Mit dieser Übersetzung von μορφή, Gestellung in das Aussehen, soll zunächst ein Doppeltes und im griechischen Sinne Gleichwesentliches ausgesprochen werden, was im Namen »Form« durchaus fehlt: einmal Gestellung in das Aussehen als Weise der Anwesung, οὐσία; μορφή nicht eine am Stoff vorhandene, seiende Eigenschaft, sondern eine Weise des Seins; zum anderen »Gestellung in das Aussehen« als Bewegtheit, κίνησις, welches »Moment« erst recht im Formbegriff ausbleibt.

Der Hinweis auf die griechischerweise zu verstehende Bedeutung von μορφή ist jedoch keineswegs schon der Beweis dessen, was Aristoteles zu zeigen sich vorgenommen hat, daß nämlich die φύσις selbst, nach einer anderen Weise der Ansprechung, μορφή sei. Dieser Beweisgang, der den noch übrigen Teil des Kapitels umfaßt, durchläuft mehrere Stufen dergestalt, daß jede Stufe die-Beweisaufgabe selbst höher legt. Der Beweis beginnt also:

»Wie nämlich (geradehin) τέχνη genannt wird das, was gemäß solchem Sichauskennen hergestellt ist und somit auch das, was zu solcher Art von Seiendem gehört, so wird auch qua (geradehin) φύσις genannt das, was gemäß der φύσις ist und demnach zum Seienden dieser Art gehört. Weder dagegen dort möchten

Martin Heidegger (GA 9) Wegmarken

GA 9