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Vom Wesen und Begriff der φύαις

und dies gerade deshalb, weil das Wesen der Entstehung [365] die Gestellung in das Aussehen ist. Insofern die Gestellung das sich stellende Aussehen anwesen läßt, das Aussehen jedoch jeweilen in einem geeinzelten Diesen als einem so aussehenden anwest, muß das, wohin die Entstehung das Aussehen stellt, gerade ein anderes Jeweiliges sein als das Woher.

Gewiß ist φύσεως ὁδός εἰς φύσιν eine Weise des Hervorkommens in die Anwesung, in der das Woher und Wohin und Wie der Anwesung dasselbe bleibt. Die φύσις ist Gang als Aufgang zum Aufgehen und so allerdings ein In-sich-zurück-Gehen, zu sich, das ein Aufgehen bleibt. Das nur räumliche Bild des Kreisens reicht wesenhaft nicht zu, weil dieser in sich zurückgehende Aufgang gerade aufgehen läßt Solches, von dem, zu dem der Aufgang je unterwegs ist.

Diesem Wesen der φύσις als κίνησις genügt einzig die Bewegtheit von der Art der μορφή. Deshalb lautet jetzt der entscheidende Satz, auf den die ganze Wesensbetrachtung zusteuerte, knapp so:

»Die also dann, die Gestellung in das Aussehen, ist φύσις.« (193b 18)

In der Gestellung als ἐνέργεια ἀτελής der γένεσις west einzig das εἶδος, das Aussehen als das Woher des Unterwegs, als dessen Wohin und als dessen Wie. Also ist die μορφή nicht etwa nur »mehr« φύσις als die ὕλη , und noch weniger kann sie dieser nur gleich gestellt werden, so daß es bei zwei gleichgeordneten τρόποί der Wesensbestimmung der φύσις sein Bewenden habe und die Lehre des Antiphon neben der des Aristoteles gleichberechtigt sein könnte. Diese Lehre erfährt jetzt durch den Satz »die μορφή und sie allein erfüllt das Wesen der φύσις« ihre schärfste Zurückweisung. Aber in der Überleitung zu seiner eigenen Auslegung (193a 28: ἕνα μὲν οὖν τρόπον οὕτως ἡ φύσις λέγεται) übernimmt Aristoteles doch die antiphonische Lehre. Wie geht dies mit dem jetzt erreichten Satz, der nur einen einzigen τρόπος gelten läßt, zusammen? Um das zu begreifen, gilt es zu wissen, inwiefern


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GA 9