BRIEF ÜBER DEN »HUMANISMUS«a
Wir bedenken das Wesen des Handelns noch lange nicht entschieden genug. Man kennt das Handeln nur als das Bewirken einer Wirkung. Deren Wirklichkeit wird nach ihrem Nutzen geschätzt. Aber das Wesen des Handelns ist das Vollbringen. Vollbringen heißt: etwas in die Fülle seines Wesens entfalten, in diese hervorgeleiten, producere. Vollbringbar ist deshalb eigentlich nur das, was schon ist. Was jedoch vor allem »ist«, ist das Sein. Das Denken vollbringt den Bezug des Seins zum Wesen des Menschen. Es macht und bewirkt diesen. Bezug nicht. Das Denken bringt ihn nur als das, was ihm selbst vom Sein übergeben ist, dem Sein dar. Dieses Darbringen besteht darin, daß im Denken das Sein zur Sprache kommt. Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren. Das Denken wird nicht erst dadurch zur Aktion, daß von ihm eine Wirkung ausgeht oder daß es angewendet wird. Das Denken handelt, indem es denkt. Dieses Handeln ist vermutlich das einfachste und zugleich das höchste, weil es den Bezug des Seins zum Menschen angeht. Alles Wirken aber beruht im Sein und geht auf das Seiende aus. Das Denken dagegen läßt sich vom Sein in den Anspruch nehmen, um die Wahrheit des Seins zu sagen. Das Denken vollbringt dieses Lassen. Denken ist l'engagement par l'Être pour l'Être. Ich weiß nicht, ob es
a 1. Auflage 1949: Das hier Gesagte ist nicht erst zur Zeit der Niederschrift ausgedacht, sondern beruht auf dem Gang eines Weges, der 1956 begonnen wurde, im »Augenblick« eines Versuches, die Wahrheit des Seins einfach zu sagen. — Der Brief spricht immer noch in der Sprache der Metaphysik, und zwar wissentlich. Die andere Sprache bleibt im Hintergrund.
Pathmarks p. 239