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Vierte Stunde

Satz beginnt Leibniz seine Abhandlung. Der Wortlaut des Satzes sei wiederholt: Ratio est in Natura, cur aliquid potius existat quam nihil. »Grund ist in der Natur der Dinge, warum viel eher etwas existiert als nichts.« Dieser an die Spitze gerückte Satz ist nun aber selbst schon eine Folge, nämlich eine Folge des Satzes vom Grund. Unmittelbar im Anschluß an den vorgenannten Satz fährt Leibniz im Text fort: Id consequens est magni illius principii, quod nihil fiat sine ratione. »Dies — nämlich was der erste Satz sagt —, ist consequens, eine Folge jenes principium magnum, jenes großen Grundsatzes, der sagt, nichts werde, d. h. nichts gelange ins Sein ohne Grund.«

Ins äußerste gesprochen, heißt dies: Nur insofern der Satz vom Grund gilt, existiert Gott. Man frägt sogleich zurück: Inwiefern gilt jedoch der Satz vom Grund? Wenn der Satz vom Grund das großmachtende Prinzip ist, dann liegt in seinem Machten eine Art von Wirken. In der Tat spricht Leibniz in der genannten Abhandlung (n. 2) davon, daß den obersten Sätzen ein Wirken, ein efficere zukommt. Alles Wirken verlangt jedoch (nach dem Satz vom Grund) eine Ursache. Die erste Ursache aber ist Gott. Also gilt der Satz vom Grund nur, insofern Gott existiert. Allein Gott existiert nur, insofern der Satz vom Grund gilt. Solches Denken bewegt sich im Kreis. Wir würden allerdings weit außerhalb des leibnizischen Denkens bleiben, wollten wir meinen, Leibniz habe sich bei dem Zirkelverhältnis beruhigt, das man leicht vorweisen oder gar als fehlerhaft ausgeben kann. Niemand von uns allen hier darf sich einbilden, die angeführten Sätze von Leibniz schon bis ins Letzte verstanden zu haben. Worauf es jetzt zunächst und allein ankommt, bleibt die Einsicht: Der Satz vom Grund ist insofern das alles durchmachtende Prinzip, als der Grund nach der strengen Fassung des Grundsatzes beansprucht, daß jegliches, was ist, ist infolge von, d. h. durch die eigens vollzogene Erfüllung des Anspruches des Grundes. Es gilt künftighin im Auge zu behalten, daß in der ersten strengen Fassung des Satzes vom Grund der Anspruchscharakter des Grundes zum Vorschein kommt.


Martin Heidegger (GA 10) Der Satz vom Grund