FÜNFTE STUNDE



Leibniz hat den Satz vom Grund als eines der obersten Prinzipien erblickt. Leibniz hat für den Satz vom Grund: Nihil est sine ratione, Nichts ist ohne Grund, die strenge Fassung des principium reddendae rationis gefunden. In der ratio reddenda zeigt sich der Grund im Charakter des Anspruches auf Zustellung. Wir sprechen von einer strengen Fassung des Satzes vom Grund, weil sie sich demjenigen Charakter des Grundes genau anmißt, der sich dem Denken von Leibniz und seinem Zeitalter erstmals zeigte. Gleichwohl ist die bisher erläuterte strenge Fassung des principium rationis auch im Sinne von Leibniz noch nicht die vollständige Fassung des Satzes vom Grund.

Die erste veröffentlichte Erwähnung des principium rationis findet sich bei Leibniz in der Abhandlung »Theoria motus abstracti« (Gerh. Philos. IV, 232). Diese Theorie betrachtet diejenigen Bedingungen für die Möglichkeit der Bewegung, die von den sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen unabhängig sind. Leibniz übersandte die Abhandlung 1671 als Fünfundzwanzigjähriger der Pariser Akademie der Wissenschaften. In dieser Abhandlung sagt er gegen Ende von einem der über die abstrakt betrachtete Bewegung aufgestellten Sätze folgendes: pendet ex nobilissimo illo (24) (zu ergänzen principio) Nihil est sine ratione;; »er (nämlich der betr. Satz über die abstrakte Bewegung) hängt ab von jenem bekanntesten und zugleich hervorragendsten Prinzip: Nichts ist ohne Grund«. Leibniz setzt hier die gewöhnliche Fassung des Satzes vom Grund als allgemein bekannt und als zugestanden voraus, schreibt dem Satz vom Grund jedoch zugleich eine ausgezeichnete herrschaftliche Rolle zu. Der Satz vom Grund ist das principium nobilissimum; er ist das nobelste Prinzip. Sechs Jahre später (1677) spricht Leibniz vom principium rationis in seinen Anmerkungen zu Niederschriften


Martin Heidegger (GA 10) Der Satz vom Grund page 49