Wer gedenkt dessen und seiner Wahrheit?
Das Unscheinbare und Energielose solchen Andenkens! Das Wohnen im Ereignis.
Für die Heutigen ist ein einziger Gedanke zu wenig, vollends ein so vorläufiger wie derjenige, der die Vergessenheit des Unter-Schieds an-denkt. Bei dem Überangebot an Rechenkunststücken ist das Denken entbehrlich geworden.
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Der Brauch: daß das Menschenwesen, in das Seyn gebraucht, dessen
Wesen mitausmacht.
Wenn zum Wesen des Seins (zum Sein) in Wahrheit das Menschenwesen
gehört, muß sich dann dieser Grundzug des Seins
nicht notwendig überall dort zeigen, wo »Sein« gelichtet ist und
vorgestellt wird?
Diese logisch folgerichtige Vermutung trifft nicht das Wahre: denn sie denkt an der Sache vorbei. Die Lichtung des Seins, die in der Offenbarkeit von Seiendem waltet, verhüllt gerade den Brauch, läßt ihn in der Vergessenheit. Sein — als Anwesen — zeigt sich wie das Anwesende schlechthin — ὄντως ὄν.
Weil »Sein« — ausschließlich und endgültig schon für das Wesen
von Sein genommen — den Brauch verbirgt und Sein nicht
als Sein entbirgt, bleibt es das große Ärgernis für alles Vorstellen,
wenn diesem zugemutet wird, das ihm bekannte »Sein« als
durch den Brauch bestimmt vor zustellen. Diese Zumutung kann
das Vorstellen mitRecht von sich weisen. Aber es kann niemals
sagen, das so vorgestellte »Sein« erfülle endgültig und für immer
(perennis) das Wesen von Sein. Aber das Sein gelangt doch in das [82]
Gepräge der | Gegenständigkeit. Diese ist alsObjektivität, in sich
auf die Subjektivität, das Selbstbewußtsein des sich vorstellenden
menschlichen Ich bezogen, nicht nur überhaupt bezogen, sondern
durch das vorstellende Ich konstituiert. Objektivität ist nicht ohne
Subjektivität denkbar. Hier treffen wir doch eindeutig auf die Zugehörigkeit
des Seins (Objektivität) zum Menschenwesen (Subjektivität).
Der Hinweis auf den Brauch sagt daher auch nichts Neues.