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Was ist das — die Philosophie?

zu derjenigen Stimmung, in der die Gestimmtheit auf das ens certum, das in Gewißheit Seiende, schwingt. Die certitudo wird zu jener Festmachung des ens qua ens, die sich aus der Unbezweifelbarkeit des cogito (ergo) sum für das ego des Menschen ergibt. Dadurch wird das ego zum ausgezeichneten sub-iectum, und so tritt das Wesen des Menschen zum ersten Male in den Bereich der Subjektivität im Sinne der Egoität. Aus der Gestimmtheit auf diese certitudo empfängt das Sagen Descartes' die Bestimmtheit eines clare et distincte percipere. Die Stimmung des Zweifels ist die positive Zustimmung zur Gewißheit. Fortan wird die Gewißheit zur maßgebenden Form der Wahrheit. Die Stimmung der Zuversicht in die jederzeit erreichbare absolute Gewißheit der Erkenntnis bleibt das πάθος und somit die ἀρχή der neuzeitlichen Philosophie.

Worin aber beruht das τέλος, die Vollendung der neuzeitlichen Philosophie, falls wir davon sprechen dürfen? Ist dieses Ende durch eine andere Stimmung bestimmt? Wo haben wir die Vollendung der neuzeitlichen Philosophie zu suchen? Bei Hegel oder erst in der Spätphilosophie Schellings? Und wie steht es mit Marx und Nietzsche? Treten sie schon aus der Bahn der neuzeitlichen Philosophie heraus? Wenn nicht, wie ist ihr Standort zu bestimmen?

Es sieht so aus, als stellten wir nur historische Fragen. Aber in Wahrheit bedenken wir das künftige Wesen der Philosophie. Wir versuchen, auf die Stimme des Seins zu hören. In welche Stimmung bringt sie das heutige Denken? Die Frage ist kaum eindeutig zu beantworten. Vermutlich waltet eine Grundstimmung. Sie bleibt uns aber noch verborgen. Dies wäre ein Zeichen dafür, daß unser heutiges Denken noch nicht seinen eindeutigen Weg gefunden hat. Was wir antreffen, ist nur dies: verschiedenartige Stimmungen des Denkens. Zweifel und Verzweiflung auf der einen, blinde Besessenheit von ungeprüften Prinzipien auf der anderen Seite stehen gegeneinander. Furcht und Angst mischen sich mit Hoffnung und Zuversicht. Oft und weithin sieht es so aus, als sei das Denken nach der Art des räsonnierenden Vorstellens und Rechnens von jeder Stimmung völlig frei. Aber auch die Kälte


Martin Heidegger (GA 11) Identität und Differenz