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Der Satz der Identität

Durch diese Bürgschaft sichert sich die Forschung die Möglichkeit ihrer Arbeit. Gleichwohl bringt die Leitvorstellung der Identität des Gegenstandes den Wissenschaften nie einen greifbaren Nutzen. Demnach beruht das Erfolgreiche und Fruchtbare der wissenschaftlichen Erkenntnis überall auf etwas Nutzlosem. Der Anspruch der Identität des Gegenstandes spricht, gleichviel ob die Wissenschaften diesen Anspruch'(13) hören oder nicht, ob sie das Gehörte in den Wind schlagen oder sich dadurch bestürzen lassen.

Der Anspruch der Identität spricht aus dem Sein des Seienden. Wo nun aber das Sein des Seienden im abendländischen Denken am frühesten und eigens zur Sprache kommt, nämlich bei Parmenides, da spricht τό αύτό, das Identische, in einem fast übermäßigen Sinne. Einer der Sätze des Parmenides lautet:

τό γάρ αύτό νοεῖν έστίν τε και ειναι.(14)

»Das Selbe nämlich ist Vernehmen (Denken) sowohl als auch Sein.«

Hier wird Verschiedenes, Denken und Sein, als das Selbe gedacht. Was sagt dies? Etwas völlig anderes im Vergleich zu dem, was wir sonst als die Lehre der Metaphysik kennen, daß die Identität zum Sein gehört. Parmenides sagt: Das Sein gehört in eine(15)((15)) Identität. Was heißt hier Identität? Was sagt im Satz des Parmenides das Wort τὸ αὐτό, das Selbe? Parmenides gibt uns auf diese Frage keine Antwort. Er stellt uns vor ein Rätsel, dem wir nicht ausweichen dürfen. Wir müssen anerkennen: In der Frühzeit des Denkens spricht, längst bevor es zu einem Satz der Identität kommt, die Identität selber und zwar in einem Spruch, der verfügt: Denken und Sein gehören in das Selbe und aus diesem Selben zusammen.

Unversehens haben wir jetzt τὸ αὐτό, das Selbe, schon gedeutet. Wir legen die Selbigkeit als Zusammengehörigkeit aus. Es liegt nahe, diese Zusammengehörigkeit im Sinne der später gedachten und allgemein bekannten Identität vorzustellen. Was könnte


(13) eigens als solchen

(14) die verschiedenen Ubersetzungen, d. h. Auslegungen dieses Satzes

(15)((15)) die