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Die Sprache

der Leitsatz uns jetzt zumutet, nicht noch ärger? Wollen wir auch noch leugnen, daß der Mensch dasjenige Wesen sei, das spricht? Keineswegs. Wir leugnen dies so wenig wie die Mög-lichkeit, die sprachlichen Erscheinungen unter dem Titel »Aus-druck« einzuordnen. Doch wir fragen: Inwiefern spricht der Mensch? Wir fragen: Was ist Sprechen?

			Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
			Lang die Abendglocke läutet,
		

Dieses Sprechen nennt den Schnee, der spät am schwindenden Tag, während die Abendglocke läutet, lautlos das Fenster trifft. Bei solchem Flockenfall währt alles Währende länger. Darum läutet die Abendglocke, die täglich ihre streng begrenzte Zeit hindurch ertönt, lang. Das Sprechen nennt die Winter abend-zeit. Was ist dieses Nennen? Behängt es nur die vorstellbaren, bekannten Gegenstände und Vorgänge: Schnee, Glocke, Fen-ster, fallen, läuten — mit den Wörtern einer Sprache? Nein. Das Nennen verteilt nicht Titel, verwendet nicht Wörter, sondern ruft ins Wort. Das Nennen ruft. Das Rufen bringt sein Gerufe-nes näher. Gleichwohl schafft dies Näherbringen das Gerufene nicht herbei, um es im nächsten Bezirk des Anwesenden abzu-setzen und darin unterzubringen. Der Ruf ruft zwar her. So bringt er das Anwesen des vordem Ungerufenen in eine Nähe. Allein, indem der Ruf herruft, hat er dem Gerufenen schon zu-gerufen. Wohin? In die Ferne, in der Gerufenes weilt als noch Abwesendes.

Das Herrufen ruft in eine Nähe. Aber der Ruf entreißt gleichwohl das Gerufene nicht der Ferne, in der es durch das Hinrufen gehalten bleibt. Das Rufen ruft in sich und darum stets hin und her; her: ins Anwesen; hin: ins Abwesen. Schnee-fall und Läuten der Abendglocke sind jetzt und hier im Gedicht zu uns gesprochen. Sie wesen im Ruf an. Dennoch fallen sie keineswegs unter das jetzt und hier in diesem Saal Anwesende. Welche Anwesenheit ist die höhere, die des Vorliegenden oder die des Gerufenen?