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Das Wesen der Sprache

endes; dagegen sind wir über die Dinge verständigt, wenn für sie das Wort zur Verfügung steht. Dann »ist« das Ding. Doch wie verhält es sich mit dem »ist«? Das Ding ist. Ist das »ist« selber auch noch ein Ding, aufgestuft auf ein anderes, ihm aufgesetzt wie eine Kappe? Wir finden das »ist« nirgends als ein Ding an einem Ding. Dem »ist« geht es wie dem Wort. So wenig wie das Wort gehört das »ist« unter die seienden Dinge.

Plötzlich erwachen wir aus der Verschlafenheit des eiligen Meinens und erblicken Anderes.

In dem, was die dichterische Erfahrung mit der Sprache vom Wort sagt, spielt das Verhältnis zwischen dem »ist«, das selber nicht ist, und dem Wort, das im selben Fall sich findet, d. h. nichts Seiendes ist.

Weder dem »ist« noch dem »Wort« kommt das Dingwesen, das Sein, zu, und vollends nicht dem Verhältnis zwischen dem »ist« und dem Wort, dem es aufgegeben, jeweils ein »ist« zu vergeben. Dennoch lassen sich weder das »ist« noch das Wort und dessen Sagen in die Leere der bloßen Nichtigkeit verbannen. Was zeigt die dichterische Erfahrung mit dem Wort, wenn ihr das Denken nachdenkt? Sie zeigt in jenes Denkwürdige, das dem Denken von altersher, wenngleich in verhüllter Weise, zugemutet ist. Sie zeigt solches, was es gibt und was gleichwohl nicht »ist«. Zu dem, was es gibt, gehört auch das Wort, vielleicht nicht nur auch, sondern vor allem anderen und dies sogar so, daß im Wort, in dessen Wesen, jenes sich verbirgt, was gibt. Vom Wort dürften wir, sachgerecht denkend, dann nie sagen: Es ist, sondern: Es gibt - dies nicht in dem Sinne, daß »es« Worte gibt, sondern daß das Wort selber gibt. Das Wort: das Gebende. Was denn? Nach der dichterischen Erfahrung und nach ältester Uberlieferung des Denkens gibt das Wort : das Sein. Dann hätten wir denkend in jenem »es, das gibt« das Wort zu suchen als das Gebende selbst, aber nie Gegebene.

[194] Wir kennen die Wendung »Es gibt« in vielfachem Gebrauch, z. B. »es gibt an der sonnigen Halde Erdbeeren«; il y a: es hat dort Erdbeeren; man kann sie als Vorkommendes finden. In


Martin Heidegger (GA 12) Unterwegs zur Sprache