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Das Wort

das Kleinod. Allein, dabei zerfällt es keineswegs zu nichts. Es bleibt ein Schatz, den der Dichter freilich nie in seinem Land bergen darf.


Worauf es meiner hand entrann

Und nie mein land den schätz gewann . . .


Dürfen wir so weit hinausdenken, daß jetzt den Fahrten des Dichters zum Born der Norn das Ende gesetzt ist? Vermutlich ja. Denn der Dichter hat durch die neue Erfahrung ein anderes Walten des Wortes, wenngleich verhüllt, erblickt. Wohin bringt diese Erfahrung den Dichter und sein bisheriges Dichten? Der Dichter muß sich des Anspruches begeben, daß ihm in aller Sicherheit auf Verlangen der Name für das geliefert wird, was er als das wahrhaft Seiende gesetzt hat. Dieses Setzen und jenen Anspruch muß er sich versagen. Der Dichter muß darauf 228 verzichten, das Wort als den darstellenden Namen für das gesetzt e Seiende unter seiner Herrschaft zu haben. Verzichten ist als Sichversagen ein Sagen, das sich sagt:


Kein ding sei wo das wort gebricht.


Während wir bei der Erläuterung der ersten sechs Strophen des Gedichtes darauf achteten, welche Fahrt den Dichter seinen Verzicht erfahren läßt, hat sich uns zugleich der Verzicht selber um einiges geklärt. Um einiges nur; denn vieles bleibt noch dunkel in diesem Gedicht, allem voran jenes Kleinod, dafür der Name verwehrt wird. Darum kann der Dichter auch nicht sagen, was dies Kleinod ist. Um so weniger dürfen wir eine Vermutung darüber wagen, es sei denn, das Gedicht gäbe selbst einen Wink. Es gibt ihn. Wir vernehmen ihn, falls wir nachdenklich genug hören. Dem genügen wir, wenn wir etwas bedenken, was uns jetzt am nachdenklichsten stimmen muß.

Der Einblick in die Erfahrung des Dichters mit dem Wort, d. h. der Einblick in den gelernten Verzicht drängt uns zu der


Martin Heidegger (GA 12) Unterwegs zur Sprache