Indes hat Hebel der »schönen Idee« seines Kalenders, ohne es zu ahnen, über den heutigen Tag hinaus zu einem Glanz verholfen, der immer neu das Sinnen und die Sinne der Menschen verzaubert- Wie geschah dies? Dadurch, daß Hebel zu dem wurde, der er war: zum Hausfreund. Das schlichte, aber gleichwohl hintergründige Wort »Hausfreund« ist der Name für den Grundzug von Hebels Dichtertum.
Sieht man freilich das Geschäft des Dichters ausschließlich in der Hervorbringung von Gedichten, dann kann man behaupten, Hebel habe nach der Veröffentlichung der »Allemannischen Gedichte« aufgehört zu dichten. Indes sind die Gedichte »Für Freunde ländlicher Natur und Sitten« nur der Beginn seines weltweiten Dichtertums. Dieses wird erst durch die Erzählungen und Betrachtungen des Hebeischen Kalenders edelste deutsche Sprache. Hebel, der in einer hellen Nähe zur Sprache lebte, wußte von diesem Schatz. Er wählte nach eigenem dichterischen Ermessen die schönsten Stücke, die er in den »Kalender des Rheinischen Hausfreundes« gegeben hatte, aus. So schränkte er den Schatz auf das Kostbarste ein, baute ihm ein Schränklein und schenkte es im Jahre 1811 der ganzen deutschen Sprachwelt als »Schatzkästlein«.
Das Sinnen und Bilden, wodurch das »SchatzkästLein« zu dem Sprachwerk wurde, dem unsere Bewunderung gilt, ist jene dichterische Gebärde, an der wir Hebel als den Hausfreund erkennen. Aber im »Schatzkästlein« sind zugleich die »Allemannischen Gedichte« aufgehoben, nämlich »aufgehoben« in dem dreifach gestuften Sinne, den einer der großen Zeitgenossen des Dichters, der Denker Georg Wilhelm Friedrich Hegel aus dem Schwabenland, bei dem Wort » aufheben« denkt.
Aufheben heißt einmal: vom Boden aufnehmen, was vorliegt. Diese Art des Aufhebens bleibt jedoch äußerlich, solange sie nicht durch ein Aufheben bestimmt wird, das so viel bedeutet wie: aufbewahren. Allein auch dieses Aufheben empfängt erst Tragkraft und Dauer, wenn es aus einem Aufheben herkommt, das besagt: hin aufheben, verklären, veredeln und dadurch: verwandeln.
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