FRIDOLIN WIPLINGERS LETZTER BESUCH



Merklich unruhig betrat er an einem Nachsommer-Nachmittag meine kleine Studierstube in unserem Alterssitz. Die Unruhe entsprang jedoch deutlich weder der Scheu des Jüngeren vor dem Älteren noch der Unsicherheit des Schülers gegenüber dem Lehrer. Die Unruhe brodelte in ihm selbst. Sie legte sich wenigstens dem Anschein nach — als er Platz genommen und ich ihm gesagt hatte: »Sie sitzen unter dem Schutz eines heimatlichen Bildes.« Über dem Sessel hängt eine kleine Originalzeichnung von Adalbert Stifter aus dem früheren Besitz von Hans Carossa. Sie stellt die drei Steinsänger dar. Doch Fridolin Wiplinger nahm dies kaum zur Kenntnis.

Er begann vielmehr unvermittelt das Gespräch mit den Worten: »Was mich seit einiger Zeit umtreibt, ist der Anfang Ihres >Briefes über den Humanismus< aus dem Jahre 1946.« »Sie meinen vermutlich«, entgegnete ich, »die Aussagen über das Denken von der Art, in der es den großen Denkern aufgetragen wird, daß es nämlich schon als Denken ein Handeln ist und nicht erst eines Bezugs zur Praxis bedarf.« Auf diesen Sachverhalt,


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Martin Heidegger (GA 13) Aus der Erfahrung des Denkens