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Das Ende der Philosophie und die Alf gäbe des Denkens

wir sonst in das Dunkle geraten und es durchirren? Gleichwohl bleibt in der Philosophie die im Sein(l6), in der Anwesenheit waltende Lichtung als solche ungedacht, wenngleich in ihrem Beginn von der Lichtung gesprochen wird. Wo geschieht es und mit welchem Namen? Antwort:

Im denkenden Gedicht des Parmenides, der, soweit wir wissen, als der erste dem Sein des Seienden eigens nachgedacht hat, der noch heute, obzwar ungehört, in den Wissenschaften spricht, in die sich die Philosophie auflöst.

Parmenides hört den Zuspruch:

...χρεὼ δέ(17) σε πάντα πυθέσθαι
ἠμὲν Ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ
ἠδὲ βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ ἔνι πίστις άληθἀς.

Fragment I, 28 ff.

»du sollst aber alles erfahren:
sowohl der Unverborgenheit, der gutgerundeten, nichtzitterndes Herz
als auch der Sterblichen Dafürhalten, dem fehlt das
Vertrauenkönnen auf Unverborgenes.«

Hier wird die Ἀλήθεια, die Unverborgenheit, genannt. Sie heißt die gutgerundete, weil sie im reinen Rund des Kreises gedreht ist, auf dem überall Anfang und Ende dasselbe sind. In dieser Drehung gibt es keine Möglichkeit des Verdrehens, Verstellens und Versehließens. Der sinnende Mann soll das nichtzitternde Herz der Unverborgenheit erfahren. Was meint das Wort vom nichtzitternden Herzen der Unverborgenheit? Es meint sie selbst(18) in ihrem Eigensten, meint den Ort der Stille, der in sich(19) versammelt, was


(16) im Selbander vom Sein des Seienden

(17) —ich besorge aber—

(18) nämlich die Ἀλήθεια

(19) jenes


Martin Heidegger (GA 14) Zur Sache des Denkens