die verborgenen Kräfte der großen Überlieferung der abendländischen Philosophie?

In der Tat! Ein solcher Durchschlag in eine neue Dimension des Philosophierens ist das Entscheidende Ihrer Arbeit geworden, nicht aber diese oder jene Antwort auf diese oder jene Frage.

Doch dieser Durchschlag ist nichts Geringeres als das Tieferlegen des Philosophierens, d.h. das Einbiegen in die verborgene Bahn seines eigentlichen Geschehens, wie sie sich im inneren Verkehr der großen Denker bekundet.

Nicht Lehre ist dann Philosophie, nicht blasses Schema der Weltorientierung, überhaupt nicht Mittel und Werk des menschlichen Daseins, sondern dieses selbst, sofern es in Freiheit aus seinem Grunde geschieht.

Wer sich in forschender Arbeit bis zu diesem Selbstverständnis der Philosophie gebracht hat, dem fällt die Grunderfahrung alles Philosophierens zu: je weiter und ursprünglicher sich das Forschen ins Werk setzt, um so sicherer ist es »nur« die Verwandlung derselben wenigen und einfachen Fragen.

Doch wer verwandeln will, muß die Kraft der bewahrenden Treue in sich tragen. Keiner aber wird diese Kraft in sich steigen fühlen, der nicht bewundert. Keiner wird bewundern können, der nicht an die äußersten Grenzen des Möglichen gewandert.

Nie aber wird einer zum Freund des Möglichen werden, der nicht offen bleibt für die Zwiesprache mit den wirkenden Kräften des ganzen Daseins. Das aber ist die Haltung des Philosophen: das Hineinhören in den Vorgesang, der in allem wesentlichen Weltgeschehen vernehmbar wird.

Und in solcher Haltung wird der Philosoph dessen inne, was es um das ist, was ihm aufgegeben.

Plato wußte darum und hat in seinem siebenten Brief davon Kunde gegeben:

ῥητὸν γὰρ οὐδαμῶς ἐστιν, ὡς ἄλλα μαθήματα ἀλλ᾽ ἐκ πολλῆς συνουσίας γιγνομένης περὶ τὸ πρᾶγμα αὐτὸ καὶ τοῦ σὐζῆν

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Martin Heidegger (GA 16) Reden und Andere Zeugnisse eines Lebenweges - Edmund Husserl zum sieben zigsten Geburtstag (8. April 1929)