233. ANSPRACHE
ZUM 80. GEBURTSTAG LUDWIG VON FICKERS*
Lieber, hochverehrter Freund!
Was man so Wirkungen nennt! Während Ihrer »Üsterbeichte« habe ich das, was ich sagen wollte, umgeworfen, und sage jetzt etwas anderes. Während Sie sprachen, kam mir die Erinnerung an ein Wort, das bei Antoine de St. Exupery steht in seinem nachgelassenen Werk »Citadelle« und das lautet: »Fonde l'amour des tours qui dominent les sables«, »Stifte die Liebe zu den Türmen, denn sie beherrschen die Wüste.«
Die Wüste ist der Bereich, wo es kein Wachstum gibt. Nicht nur nicht gibt, sondern die Wüste ist der Bereich, der nichts wachsen läßt ... Unheimlicher als Zerstörung ist Verwüstung. Und in einem gewissen, weit gedachten, aber gleichwohl nicht verneinend verstandenen Sinn möchte ich sagen, daß wir im Zeitalter der Verwüstung leben, insofern kein Wachstum mehr ist, sondern alles der Planung und Berechnung unterworfen wird bis in die Sprache, die in absehbarer Zeit zu einem Instrument der Information umgebildet sein wird. »Stifte die Liebe zu den Türmen, denn sie beherrschen die Wüste.« Die Türme! Der Dichter dachte an andere Türme. Es gibt aber Türme, von denen herab es läutet und die in den Stundengang der Tage und Jahre zeigen. Von diesen Türmen läutet, wenn wir es tiefer deuten, das Geläut der Stille: jenes Sagen, in dem die Dichter und die Denkenden zu sprechen versuchen.
»Stifte die Liebe zu den Türmen, denn sie beherrschen die Wüste.« Stiften heißt: Gründen und schenken. Stifte die Liebe! Wohl die tiefste Deutung dessen, was Liebe ist, steht bei Augustinus in dem Wort, das lautet: »amo volo ut sis«, ich liebe, das heißt, ich will, daß das Geliebte sei, was es ist. Liebe ist das Seinlassen in dem tieferen Sinn, demgemäß es das Wesen hervorruft.
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